© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

„Schöne Worte helfen niemandem“
Islamischer Antisemitismus: Der Israeli Yoav Sapir lebt seit zehn Jahren in Berlin. Ein Gespräch über Multikulti und Judenhaß
Christian Vollradt

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland hat seine Sorge über die unkontrollierte Zuwanderung aus Ländern, „in denen der Haß auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil ist“, geäußert. Teilen Sie seine Befürchtung? 

Sapir: Die allgemeinen Probleme der islamischen Welt treffen nicht unbedingt auf einzelne zu. Also müssen wir zwischen dem Islam einerseits und den Moslems andererseits differenzieren – ebenso wie damals zwischen dem NS-Gedankengut und den Deutschen. Daß die Einwanderer aus islamischen Ländern kommen, bedeutet nicht unbedingt, daß jeder einzelne den im Islam verankerten Judenhaß verinnerlicht hat. Jedoch wissen wir etwa, daß Hitlers „Mein Kampf“ gerade in islamischen Ländern seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Bestsellern zählt. Und leider gibt es auch keine Hinweise darauf, daß die Einwanderer sich auf dem Weg nach Deutschland nicht nur geographisch, sondern auch gedanklich vom Islam distanziert hätten. Das mag bei manchen so sein, doch wohl nicht bei der Mehrheit der Migranten. Aber vielleicht dürfen wir das auch nicht erwarten, schließlich entwickelte sich auch bei den Deutschen nicht sofort nach 1945 eine selbstkritische Perspektive.

In jüngster Vergangenheit kam es nicht nur in Berlin bereits zu Übergriffen jugendlicher Muslime auf Menschen, die Kippa oder einen Davidstern trugen. Haben Sie persönlich auch schon so etwas erlebt?

Sapir: Physische Übergriffe habe ich nicht erlebt, allerdings meide ich es bewußt, in der Öffentlichkeit meine Nationalität zu zeigen. Als Jude fühle ich mich wesentlich sicherer, wenn man auf der Straße oder in der U-Bahn eben nicht weiß, daß ich Jude bin. Zwar wollen uns die Politiker einreden, daß jüdisches Leben sich in Deutschland und überhaupt in Europa frei entfalten sollte, aber schöne Worte helfen niemandem, der dem Judenhaß zum Opfer fällt – ob in Berlin oder in Kopenhagen, Brüssel, Marseille, Toulouse, Paris. Darum: lieber schlau sein als recht haben.

Was haben Sie empfunden, als mehrheitlich arabischstämmige Demonstranten ihre Sympathie für die Terrorgruppe Hamas bekundeten und bei Kundgebungen „Juden ins Gas!“ brüllten?

Sapir: Daß dem Islam solcher Judenhaß innewohnt, war mir nicht neu. Das gilt für Hamas, Islamischer Dschihad, PLO, ISIS und die anderen. Sie bekämpfen sich zwar, doch in puncto Judenhaß sind sie sich einig. Bei den Kundgebungen trat aber nur zutage, was ohnehin tagtäglich im verborgenen blüht. Meinen Abscheu erregten dann nicht nur die Mordaufrufe, sondern auch die Tatenlosigkeit der Polizei und die Impotenz der politischen Elite, die sich wesentlich deutlicher am „Wir sind das Volk“ von Pegida störte als am „Juden ins Gas!“ der islamischen Kundgebungen. Überhaupt scheint die Politik nichts aus dieser Erfahrung gelernt zu haben: Wir wissen ja, daß der islamische Antisemitismus mit der Migration nach Deutschland kam. Nun sagt uns die Politik, Antisemitismus sei hier nicht willkommen, läßt dann aber eine neue Masseneinwanderung gerade aus vehement antisemitischen Ländern zu. Am schlimmsten ist, wie dies mit dem Asylrecht begründet wird, das unter anderem als Reaktion auf den Holocaust entstand. Wenn man bedenkt, wie der hiesige Judenhaß gerade durch diese Migrationspolitik weiter verstärkt wird, ähnelt das einer Verhöhnung der Holocaust-Opfer.

Viele jüdische Deutsche fühlen sich in ihrer Sorge vor wachsendem Antisemitismus seitens muslimischer Zuwanderer von der deutschen Politik oder Gesellschaft im Stich gelassen. Liegt das Ihrer Meinung nach auch – wie jüngst von Charlotte Knobloch angemahnt – am gestörten Verhältnis der Deutschen zu ihrer Identität und der zu lange gepflegten Multikulti-Romantik?

Sapir: Man muß wirklich kein Psychoanalytiker sein, um beobachten zu können, daß das deutsche Volk an gewissen Störungen leidet. Multikulti bedeutet nichts anderes als eine ethnische Neumischung des Landes hin zu einem Vielvölkerstaat. Dahinter steckt der Wunsch, mit dem Deutschsein aufhören zu können, um die historische Last loszuwerden. Aus dieser Selbstverleugnung resultiert eine geistige Unfähigkeit, im eigenen Interesse zu handeln – die politische Ohnmacht gegenüber der derzeitigen Masseneinwanderung ist nur ein Beispiel hierfür. Ich denke, hiesigen Juden beginnt sich langsam die Zukunftsfrage aufzuzwingen, mit der sich die Juden in Frankreich seit längerem beschäftigen: Was wird aus den eigenen Kindern und Enkeln, wenn der demographische Wandel sich weiterhin vollzieht?






Yoav Sapir, geboren 1979 in Haifa, ist Historiker und Germanist. Er arbeitet als Journalist, Referent, Übersetzer sowie als Stadtführer in Berlin.