© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Dschihadisten feiern die einsamen Wölfe
Islamistischer Terror in den USA: Mord an 14 Menschen bei Weihnachsfeier setzt Amerikaner unter Schock
Marc Zoellner

Am Ende blieb nichts außer den Toten sowie ein grausiges Rätsel: Was trieb die beiden Attentäter Tashfeen Malik und Syed Farook zu ihrem blutigen Amoklauf quer durch die US-amerikanische Musterstadt San Bernardino? Denn was sich bislang an Spuren fand, ist dürftig und zeichnet kaum mehr als den eigentlichen Tathergang nach.

Soviel ist sicher: Am Morgen des 2. Dezember, kurz vor elf Uhr lokaler Zeit, stürmte das Pärchen nach Angaben von Überlebenden des Massakers die Weihnachtsfeier des Inland Regional Center, einer der großen kalifornischen Einrichtungen zur sozialen Unterstützung von Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung. Noch kurz zuvor soll Farook, der selbst im Zentrum angestellt war, diese Feier nach einem Streit verlassen haben. „Äußerst wütend“, wie Augenzeugen anschließend berichteten.

Präventivaufklärung ad absurdum geführt 

In Tarnanzügen gekleidet und mit Sturmgewehren ausgerüstet, schossen die beiden Attentäter bei ihrer gemeinsamen Rückkehr wahllos in die Menge und töteten 14 Menschen. Vier Stunden danach wurden sie selbst auf der Flucht von der Polizei gestellt und im Feuergefecht eliminiert. Bei der anschließenden Wohnungsdurchsuchung fand sich Bizarres: Tausende Schuß Munition hatte das junge Ehepaar in seinen Schränken gehortet, hinzu noch ein Dutzend Rohrbomben sowie mehrere Schußwaffen. Allesamt, wie es scheint, legal erworben. Eine Nachricht, die in großen Teilen der Vereinigten Staaten Schockzustände hervorrief.

Zwar bekannte sich die Terrorgruppe Islamischer Staat nur zwei Tage später zu diesem Anschlag und verkündete in einer Übertragung ihres Propagandasenders al-Bayan, daß „zwei Attentäter des IS vor einigen Tagen ein Zentrum in San Bernardino in Kalifornien angegriffen“ hätten. Spezifische Details über den Anschlag wußte der Sprecher des selbsternannten Kalifats jedoch nicht zu benennen. Auch die Ermittler des FBI sowie der lokalen Behörden zweifeln an der Urheberschaft des IS.

Immer deutlicher wird hingegen der Verdacht, daß die beiden sich vielmehr selbst radikalisiert hatten und die 27jährige Malik dabei der treibende Part gewesen war. Denn immerhin genoß der ein Jahr ältere Farook, aus einer wenig religiösen pakistanischen Familie stammend und in Chicago geboren, einen ausgezeichneten Leumund in seiner Gemeinde. „Ruhig, schüchtern und reserviert“ sei er gewesen, beschreiben Augenzeugen ihn. Er habe studiert, sei nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und habe bei seiner Behörde mit umgerechnet rund 60.000 Euro Jahresgehalt außerordentlich gut verdient. Regelmäßig sei er in der benachbarten Al-Uloom-Al-Islamiyah-Moschee zum Beten erschienen. Doch „Anzeichen einer Radikalisierung haben wir keine gesehen“, so deren Vorsitzender Mahmood Nadvi.

Seine Frau hingegen: ein unbeschriebenes Blatt. Ein einziges Foto konnten die Ermittler im Zuge der Ermittlungen von ihr auftreiben. Ihr Visum in die Vereinigten Staaten erschlich sich die gebürtige Pakistanerin, die seit ihrer frühen Kindheit in Saudi-Arabien lebte, unter falscher pakistanischer Adresse. Mit Nachbarn und selbst den Familienangehörigen Farooks unterhielt sie keinerlei Kontakte.

Als „Lone wolves“, die „einsamen Wölfe“, feiern Dschihadisten Gestalten wie Malik in einschlägigen Gazetten wie dem Dabiq, dem auf englisch erscheinenden Hochglanzmagazin des IS. Durch deren autonomes Auftreten fallen sie durch die meisten Raster der Präventivaufklärung. „Diese Einzeltäter leben oft sehr unauffällig, haben keinen direkten Kontakt zu anderen Dschihadisten“, erklärte der Politikwissenschaftler Peter Neumann kürzlich treffend in der Bild-Zeitung. „Das macht sie zum Alptraum aller Sicherheitsbehörden, weil sie erst dann ‘sichtbar’ werden, wenn es zu spät ist.“

Wie trotz alledem Massaker wie jenes von San Bernardino, dem opferreichsten Terroranschlag auf US-amerikanischem Boden seit dem 11. September 2001, verhindert werden könnten, diskutieren nun Politik und Medien des Landes. Erstmals seit 1920 erschien die New York Times (NYT) wieder mit Leitartikel auf der Frontseite und titelte: „Beendet die Waffenepidemie in Amerika“.

Für eine weitere Beschränkung des Waffenrechts plädierte auch Barack Oba-ma im Anschluß der Bluttat. „Wir werden den IS und andere Organisationen zerstören, die versuchen, uns zu töten“, verkündete der US-Präsident überdies als Kampfansage an die Terrororganisation und ihre Sympathisanten. Bodentruppen im Nahen Osten, so Obama, werde es trotz alledem keine mehr geben; jedoch massive Verschärfungen der Einreisebestimmungen insbesondere arabischer Bürger in die USA. 

Dennoch warnte Oba-ma davor, den Muslimen in den USA mit Mißtrauen gegenüberzutreten. Von einem Krieg zwischen Amerika und dem Islam zu reden, sei in diesem Kontext nicht angebracht.

Vehement widersprach hingegen Donald Trump, Spitzenkandidat der Republikaner im Rennen um die US-Präsidentschaft, den Ansichten Obamas sowie der NYT. „Hätten die Menschen von Paris und Kalifornien ein paar Leute mit Waffen anwesend gehabt“, so der konservative Multimilliardär, „gäbe es keine Toten, dann wären die Toten die anderen Leute.“ Kurz darauf legte er nach und sprach sich dafür aus, allen Muslimen die Einreise in die USA zu verbieten.