© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Die Lösung der Energiefrage
Projekt Dual-Fluid-Reaktor: Erzeugt Strom aus radioaktiven Abfällen und beseitigt das Endlagerproblem
Christian Rudolf

Weltweit gibt es eine Reihe neuer Entwicklungen von Kernreaktoren, die nicht nur eine höhere Effizienz bei mehr Sicherheit versprechen, sondern zum Teil auch das nukleare Abfallproblem praktisch verschwinden lassen. Kürzlich startete zum Beispiel das von der Europäischen Union geförderte Projekt Samofar (Safety Assessment of the Molten Salt Fast Reactor), welches den sogenannten Flüssigsalzreaktor in eine neue Phase bringen soll. Auch in Deutschland gibt es Aktivitäten für technische Innovation, um das gewaltige Potential der Kernenergie besser auszunutzen.

Einem Startup aus Berlin ist es gelungen, ein völlig neues Konzept, den „Dual Fluid Reaktor“ (DFR) zu entwickeln, das dieses Kriterium erfüllt. Der DFR könnte allein durch seine spezielle Aufarbeitungs- und Trennungsmethode das nukleare Abfallproblem bereits um einen Faktor 100 reduzieren. Die Kosten betrügen nur einen Bruchteil der zig Milliarden Euro, die für ein geologisches Endlager vorgesehen sind.

Brennstoffzufuhr und    Wärmeabfuhr trennen

Kommerzielle Kernkraftwerke funktionieren seit jeher nach demselben Prinzip, und auch die Schwierigkeiten sind seit jeher dieselben. Einmal im laufenden Reaktorkern, sind die festen Brennelemente nicht mehr zugänglich. Dadurch häufen sich die hochradioaktiven Spaltprodukte, die bei der Kernspaltung als „Asche“ entstehen, in den Brennelementen an. Das stört nicht nur die Effizienz des Reaktors erheblich, sondern erfordert auch aufwendige Sicherheitsmaßnahmen, denn selbst nach dem Abschalten des Reaktors ist deren Radioaktivität immer noch so hoch, daß weiterhin erhebliche Wärme produziert wird. Fallen dann die Pumpen für die Wasserkühlung aus, droht eine Überhitzung wie in Harrisburg 1979 und Fukushima 2011. Die Gegenmaßnahmen verteuern die ansonsten umweltfreundliche und preiswerte Kernenergie.

Brennelemente erfordern überdies eine teure Infrastruktur für deren Herstellung und Entsorgung. Nur fünf Prozent des Urans in einem Brennstab werden tatsächlich genutzt, dann springt der Reaktor nicht mehr an. Bezogen auf das geförderte Natururan sind das sogar weniger als ein Prozent, denn bei der für diesen Reaktortyp unumgänglichen Urananreicherung entsteht ein Vielfaches an abgereichertem Uran. Dies führt dazu, daß die wirtschaftliche Effizienz heutiger Kernkraftwerke gerade einmal doppelt so hoch wie die von Kohle- und Gaskraftwerken ist – gemessen am erforderlichen Know-how und den langen Rücklaufzeiten ein zu geringer Vorteil.

Doch es gibt auch völlig andere Reaktorkonzepte. Schon in den 1960er Jahren testete das Oak Ridge National Laboratory (ORNL) in den USA erfolgreich den „Flüssigsalzreaktor“ (Molten-Salt-Reactor, MSR), der ohne feste Brennelemente auskommt. Das Uran liegt dabei in Form von Salzen vor, die bei der Arbeitstemperatur des Reaktors flüssig sind. Der Brennstoff kann nun während des Betriebs durch den Reaktorkern zirkulieren und außerhalb aufbereitet werden. Die teure Infrastruktur für Brennelemente entfiele, und die ständige Aufbereitung sorgt zumindest in der Theorie dafür, daß der Brennstoff zu 100 Prozent genutzt werden kann. Was bei heute üblichen Reaktoren einen katastrophalen Zustand darstellt, nämlich die Verflüssigung der ansonsten festen Brennelemente – die berüchtigte Kernschmelze –, gehört hier zum Betriebsprozeß. Überhitzt sich der Reaktorkern, schmilzt eine Plombe durch, und die Flüssigkeit läuft über Rohre in unterkritische Tanks ab, völlig ohne aktive Eingriffe, ohne Strom und ohne Elektronik.

Nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf wird dieses Konzept in den letzten Jahren verstärkt weiterentwickelt. Der ursprüngliche MSR hat aber auch einen erheblichen Nachteil: Das Uransalz, welches im Reaktorkern Wärme produziert, muß diese auch selbst nach außen abführen. Es hat also zwei Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen, einmal den Brennstoff zuzuführen, und die Wärme abzuführen. Um diese beiden Funktionen gleichzeitig zu erfüllen, müssen Kompromisse gemacht werden.

Bahnbrechende Optimierung des Flüssigsalzreaktors

Während die heutigen MSR-Konzepte alle mehr oder weniger dem ursprünglichen Design aus Oak Ridge folgen, kommt ausgerechnet aus dem nuklearen Ausstiegsland Deutschland ein neues Reaktorkonzept, das die Effizienz des MSR nochmals erheblich verbessert. Der Dual-Fluid-Reaktor (DFR) wurde 2011 von Mitarbeitern des Berliner Instituts für Festkörper-Kernphysik (IFK), einer gemeinnützigen GmbH, zum Patent angemeldet. Der DFR nutzt das Prinzip des MSR, geht aber über diesen hinaus. Der entscheidende Trick des DFR besteht darin, die Funktionen der Brennstoffzufuhr und Wärmeabfuhr zu trennen. Man erhält so zwei parallele Kreisläufe, die in ihrer jeweiligen Funktion optimiert werden können.

Die optimale Wärmeabfuhr erhält man mit flüssigem Blei, für den Brennstoff kommt wiederum Flüssigsalz in Frage. Wegen der viel besseren Wärmeabfuhr muß der Brennstoff nicht mehr künstlich verdünnt werden. Die Folge ist eine erheblich höhere Leistungsdichte, was weniger Strukturmaterialien erfordert. Da nun die Materialkosten keine dominante Rolle mehr spielen, kann die Temperatur auf 1.000 Grad gesteigert werden. Der DFR wird damit zu einem „Hochtemperaturreaktor“, mit dem man chemische Kraftstoffe CO2-frei und kostengünstig produzieren kann.

Zu den immensen Kostenvorteilen des MSR, der (theoretisch) vollständigen Nutzung des Brennstoffs sowie der inhärenten passiven Sicherheit kommen beim DFR also noch die hohe Betriebs­temperatur, die eine Kraftstoffsynthese ermöglicht, und die weiter gesteigerte Effizienz hinzu. Eine vollständige Nutzung des Brennstoffs bedeutet auch eine „abfallfreie“ Verbrennung, das heißt den Wegfall eines geologischen Endlagers. Die Spaltprodukte müßten nur noch wenige hundert Jahre sicher gelagert werden (auf Kosten der Effizienz könnte dies noch auf unter 100 Jahre verringert werden). Der Dual-Fluid-Reaktor schont somit die Umwelt auf vielfache Art: zum einen durch die hohe Effizienz, die den ökologischen Fußabdruck minimiert, zum zweiten durch die Nutzung und damit Entschärfung nuklearer Abfälle, zum dritten durch die hocheffiziente und CO2-freie Kraftstoffproduktion.

Seit der DFR durch die Offenlegung des Patents bekannt wurde, arbeiten die Erfinder rund um IFK-Geschäftsführer Armin Huke mit den Technischen Universitäten München und Dresden weiter an diesem Projekt. Die Akzeptanz in der wissenschaftlichen Welt spiegelt sich in Kooperationen etwa mit dem polnischen National Centre for Nuclear Research (Otwock) und der Universität Stettin oder der kanadischen University of Northern British Columbia. Die polnische sowie aktuell die ägyptische Atomaufsicht haben Interesse bekundet. Die Suche nach Finanzmitteln für die Umsetzung bei uns gestaltet sich im nuklearfeindlichen Merkel-Deutschland naturgemäß schwierig.

 http://festkoerper-kernphysik.de

 http://dual-fluid-reaktor.de