© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

„Nun ist Polen wieder offen“
AfD: Auch nach der Verwarnung Björn Höckes durch den Bundesvorstand kommt die Partei nicht zur Ruhe
Marcus Schmidt

Die Ruhe hielt nur wenige Stunden. Gegen 16 Uhr verschickte die AfD am vergangenen Freitag eine Stellungnahme des Bundesvorstandes zu den Äußerungen des Thüringer Fraktionschefs Björn Höcke. Zuvor hatte die Parteispitze den Fall stundenlang diskutiert – in Abwesenheit Höckes. Dieser war vom Vorstand  zu der Sitzung eingeladen worden, hatte aber mit der Begründung, er könne der zeitgleich im Erfurter Landtag stattfindenden Haushaltsdebatte nicht fernbleiben, abgesagt. 

Deutliches Votum der Landesverbände

„Der Bundesvorstand der AfD stellt fest, daß die Äußerungen des thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke bezüglich eines biologisch-demographischen Verhaltens von Menschen ausschließlich seine persönliche Meinung darstellen“, lautete schließlich das Urteil der AfD-Spitze. Gleiches gelte für seine Einlassungen zur französischen Innenpolitik, heißt es mit Blick auf die Gratulation des AfD-Politikers an die Adresse des Front National nach dem ersten Wahlgang der französischen Regionalwahlen. Und weiter: „Diese Sichtweisen von Björn Höcke werden vom Bundesvorstand einhellig abgelehnt. Der Bundesvorstand der AfD fordert Björn Höcke nachdrücklich auf, auch selbst zu prüfen, inwieweit seine Positionen sich noch in Übereinstimmung mit denen der AfD befinden.“ Dieser Nachsatz wurde als Rat zum Austritt interpretiert. Mehr aber auch nicht.

Doch kurz darauf legte AfD-Chefin Frauke Petry nach. In einem Interview mit dem MDR riet sie Höcke unmißverständlich zum Rücktritt. Die Mehrheit des AfD-Vorstandes hatte bis zu diesem Zeitpunkt gehofft, das Kapitel Höcke kurz vor Weihnachten zumindest für dieses Jahr abzuschließen. Doch sie hatten die Rechnung ohne Petry gemacht, die wild entschlossen scheint, den Fall Höcke jetzt endgültig abzuschließen und ihren Kontrahenten aus der Partei zu drängen.

Schon während der Sitzung des Bundesvorstandes hatte die sächsische Fraktionsvorsitzende nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT versucht, ein härteres Vorgehen gegen Höcke durchzusetzen, stand damit aber allein. Das heißt indes nicht, daß alle ihre Vorstandskollegen die an Höcke ergangene Verwarnung tatsächlich als ausreichend ansehen. Manche haben aber offenbar aus taktischen Überlegungen und mit Blick auf die wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vor einem endgültigen Bruch mit Höcke zum jetzigen Zeitpunkt zurückgeschreckt. 

Daß sich die Stimmung in der Partei mittlerweile gegen Höcke gewendet hat, wurde am Freitag morgen während einer Telefonkonferenz mit den Landesvorsitzenden deutlich. In einem von Petry eingeholten Stimmungsbild sprachen sich dabei neun Landesverbände für einen Rücktritt des Erfurter Fraktionschefs aus – lediglich Höcke, Brandenburgs Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland und der Landeschef von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, waren dagegen. Dieses Meinungsbild hatte Petry im Kopf, als sie nach der Vorstandssitzung Höcke den Rücktritt nahelegte und damit deutlich über den gerade erst gefaßten Beschluß hinausging – und so eine neue Runde in der Auseinandersetzung einläutete. 

Vor allem Gauland reagierte verärgert auf den Vorstoß „meiner lieben Freundin Frauke Petry“. Niemand im Bundesvorstand außer Petry habe zuvor einen Amtsverzicht von Höcke gefordert. Durch diese Äußerungen sei die Sache wieder ins Rutschen gekommen. „Das geht nicht, und das halte ich für falsch“, sagte Gauland der JUNGEN FREIHEIT. „Wir hätten nach dem Beschluß dichtmachen müssen. Nun ist Polen wieder offen“, fügte er hinzu. An seiner Loyalität zu Petry ändere dies aber nichts.

Höcke hat sich bislang nicht zu der Verwarnung durch den Bundesvorstand geäußert. In seinem Umfeld wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß kein Parteiordnungsverfahren gegen Höcke eingeleitet worden sei, sondern der Vorstand lediglich seine Meinung geäußert habe. 

Gauland, der Höcke bislang stets unterstützt hat, appellierte unterdessen an die Einsicht Höckes. „Ich wünsche mir, daß ich jetzt mal nichts von ihm höre, was ich nur schwer erklären kann“, sagte Gauland. In der Partei wird unterdessen daran erinnert, daß es bereits einmal ein Amtsenthebungsverfahren gegen Björn Höcke gab. Dieses war im Mai auf Initiative des damaligen AfD-Chefs Bernd Lucke nach mißverständlichen Äußerungen Höckes zur NPD angestrengt worden. Nach dem Essener Parteitag war es vom neuen Bundesvorstand unter Frauke Petry zu den Akten gelegt worden.