© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Die Waschbrett-Illusion
Bevölkerungsentwicklung: Der Anstieg der Geburtenzahlen kann über den langfristigen Niedergang nicht hinwegtäuschen / Eine Analyse
Jürgen Liminski

Jubel im Establishment: Die Geburtenzahlen für 2014 sind gestiegen, es wurden 33.000 Kinder mehr geboren als im Jahr zuvor. Das bedeute einen Anstieg der Geburtenziffer auf 1,47 Kinder pro Frau, der höchsten seit der Wiedervereinigung, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Das freut Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), die es sich nicht nehmen läßt, persönlich zu betonen, daß dies ein Ansporn sei, „weiter gute Familienpolitik zu machen“.

Aber liegt es an der Familienpolitik, daß mehr Kinder geboren wurden? Es ist kein Geheimnis: Deutschland braucht mehr Kinder. Da darf man sich über jedes Neugeborene freuen. Und es ist auch sehr wahrscheinlich, daß ein Teil der 33.000 Kinder seine Existenz einer erhöhten Zahl an Krippenplätzen verdankt. Das wiederum ist eher traurig, weil die Existenz eigentlich von solchen Faktoren nicht abhängen sollte. Und weil Krippen nachweislich nicht gut sind für Kinder, nur zehn Prozent der Kitas erfüllen qualitative Standardnormen. Gesunde, normale Mütter sind in puncto Kindeswohl eben nicht zu toppen.

 Aber die numerisch verbesserte Infrastruktur ist nur ein Element des generativen Verhaltens. Ein weiteres, über die Jahrzehnte hinweg zu beobachtendes Element ist, was der renommierte Demograph Herwig Birg, das „demographisch-ökonomische Paradoxon“ nennt.  „Je rascher die sozio-ökonomische Entwicklung eines Landes voranschreitet und je höher der Lebensstandard steigt, desto niedriger ist die Geburtenrate“, schreibt Birg dazu in seinem Buch „Die alternde Republik und das Versagen der Politik“. Dieses Paradoxon ist weltweit zu beobachten. Demnach müßten die Zahlen zwar weiter sinken, denn Deutschland wächst wirtschaftlich und das sozio-ökonomische Niveau steigt. Bei dem Paradoxon  handelt es sich um einen langfristigen Trend, zu sehen und zu messen an der weiter ansteigenden Zahl der lebenslang kinderlosen Frauen (mittlerweile fast jede vierte Frau), bei der Deutschland nach wie vor Weltmeister ist. Kurzfristig aber schlagen jetzt, 2014, die Enkel der Babyboomer statistisch zu Buche, denn die Kinder der Babyboomer, der besonders geburtenstarken Jahrgänge von 1960 bis 1964, bekommen selber Kinder und haben diese Geburten wegen der krisenhaften Zeiten bislang nur zurückgestellt. Das zeigt der Anstieg des Erstgebärendenalters; es liegt bei knapp 30 Jahren. Es ist wie bei einem altmodischen Waschbrett: Das Brett hat Rillen, die man mit Jahrgängen vergleichen kann, und da geht es immer wieder mal leicht nach oben. Über das ganze Brett beziehungsweise über mehrere Jahrzehnte gesehen aber geht es doch nach unten.

 Der Familienforscher Stefan Fuchs setzt in einem Kommentar des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (Idaf) den Akzent auf die „mit 1,86 Kindern wesentlich höhere Geburtenrate der Ausländerinnen“. Generell seien „die Geburtenraten ausländischer Frauen wesentlich, um den jüngsten statistischen Anstieg der Geburtenraten zu verstehen“. Das sei lange unterschätzt worden. Auch ist der Anteil der Ledigen vor allem bei Männern stetig gestiegen, und da Kinder vor allem in Ehen geboren werden, ist zu vermuten, daß es sich bei den Geburtenzahlen 2014 nur um ein Zwischenhoch handelt. Dafür spricht auch, daß die Frauenjahrgänge 1935, 1945, 1955, 1965 einen in Ost- wie in Westdeutschland kontinuierlichen Rückgang der sogenannten „endgültigen Kinderzahlen“ aufweisen. Das ist die Zahl der Kinder, die eine Frau bis zum 50. Lebensjahr zur Welt gebracht hat. Eine Trendwende wäre erst zu erwarten, wenn auch jüngere Frauen wieder öfter Kinder bekämen und so die Wahrscheinlichkeit von zweiten und dritten Geburten sich erhöhte. Das ist nicht zu beobachten.

 Wirtschaftliche und politische Krisen schaffen Unsicherheit. Das ist schlecht für Familienplanung, die Verläßlichkeit braucht. Dank ihres wachsenden Arbeitsmarktes hatten es die Deutschen da jahrelang besser als zum Beispiel die Spanier und Franzosen, und das war auch für die Geburtenrate vorteilhaft. Aber das sind eben die Rillen im Waschbrett, eine Rillenhöhe aber sagt noch lange keine Trendwende voraus. Erst recht nicht, wenn die wirtschaftliche Gesamtlage sich wieder einzutrüben droht.  Der Jubel im Establishment ist verfrüht, wahrscheinlich sogar hohl.

Liebe bleibt das Hauptmotiv

Mehr noch: Das Hauptmotiv für den Kinderwunsch bleibt die Liebe, nicht die Sicherung der Renten oder des Wohlstands (Gott sei Dank). Die Liebe hat es aber in einer durchökonomisierten und sich weiter säkularisierenden Gesellschaft nicht leicht, diesen Wunsch zu realisieren. Deshalb werden die langfristigen Trends sich vermutlich fortsetzen. Man wird mit Blick auf die demographische Entwicklung in den kommenden Jahren feststellen, daß Paare mit einem klaren Menschenbild und Wertvorstellungen, also vor allem religiös geprägte Paare, Familien gründen und mehrere Kinder haben werden. Dieser Trend ist schon heute statistisch nachweisbar, und man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, daß er sich verstärken und die Gesellschaft sich geistig und geistlich noch mehr polarisieren wird.

Jürgen Liminski ist Journalist und Geschäftsführer des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (Idaf)

 www.i-daf.org