© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

„Sie waren Frauen und damit Freiwild“
Die massiven sexuellen Übergriffe am Kölner Dom sorgten nach Silvester für blankes Entsetzen in ganz Deutschland. Trotzdem wurde die Herkunft der Täter von vielen großen Medien verschwiegen. Der Schuß gehe aber nach hinten los, sagt Autorin Birgit Kelle
Henning Hoffgard / Elena Hickman

Frau Kelle, die Kölner Polizei geht nach den Übergriffen in der Silvesternacht von bis zu 80 Opfern und Hunderten Tatverdächtigen aus. Provokant gefragt: Hatten die Frauen die Bluse nicht zu?

Kelle: Manche hatten sogar lange Hosen und Mäntel an, das hat keinen Täter abgehalten. Was sie eint ist: Sie waren Frauen und damit offenbar Freiwild. Und selbst wenn sie mit offener Bluse über den eisigen Domplatz gelaufen wären: Wir sind ein freies Land, hier dürfen Frauen das. Bei uns entscheiden Frauen selbst, wie sie ihre Blusen tragen. Das ist ja weltweit keineswegs selbstverständlich. Es darf auf keinen Fall passieren, daß für das Vorgehen Krimineller nun Frauen in Mithaftung genommen werden. Ich streite dafür, daß jede Frau selbst entscheiden kann, wie sie leben möchte. Ereignisse wie in der Neujahrsnacht in Köln, Hamburg und Stuttgart dürfen nicht toleriert werden. 

Die Netzfeministin und Initiatorin der Twitter-Aktion „Aufschrei“, Anne Wizorek, schreibt: „Jedesmal wenn Birgit Kelle et al. faseln, daß Frauen nur die Bluse zumachen müßten, um nicht belästigt zu werden, tragen sie dazu bei, daß Betroffene sich nicht trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.“

Kelle: Was Frau Wizorek schreibt, interessiert mich nicht mehr. Wer sich über den jämmerlichen Anmachversuch des FDP-Politikers Brüderle echauffiert, aber zu dem organisierten Massenmißbrauch von Dutzenden Frauen nur dämliche Sprüche twittert, katapultiert sich selbst aus einem ernsthaften Diskurs heraus. Alice Schwarzer ist dagegen in einer ganz anderen Liga. 

Das ist von Ihnen aber eine überraschende Aussage. 

Kelle: Ich teile, weiß Gott, viele ihrer Ansichten nicht, aber sie ist seit Jahren die konsequenteste Stimme, die vor den archaischen Verhältnissen in Teilen des Islam warnt, und die auch in Deutschland gelebt werden. Sprechen Sie mal mit Beraterinnen von Anlaufstellen für zwangsverheiratete Frauen in Deutschland. Sie werden staunen, was hierzulande los ist.

Der Satz „Dann mach doch die Bluse zu“ ist Titel eines Ihrer Bücher, in dem Sie über die Affäre um den ehemaligen FDP-Spitzenpolitiker Rainer Brüderle schreiben. Kann man die Situation in Köln damit vergleichen?

Kelle: Der Anmachversuch von Brüderle an der Hotelbar war jämmerlich, keine Frage, wenngleich ich auch heute noch staune, daß die Journalistin erst nach einem Jahr gemerkt hat, daß sie da sexuell belästigt wurde. Was in Köln vor wenigen Tagen passiert ist, ist sexueller Mißbrauch, ist strafrechtlich Vergewaltigung. Frauen wurde an die Brüste und zwischen die Beine gegriffen, „Finger an allen Körperöffnungen“, sagte eines der Opfer. Die Täter lachten über ihre Hilfeschreie und Tränen. Das ist blanke Gewalt, sonst nichts. Das hat eine ganz andere Qualität.

Damals gab es eine Welle der Empörung über Brüderle. Zu Köln dagegen schweigen die meisten Feministen oder wiegeln ab.

Kelle: Fairerweise muß man sagen, daß die Emma, das Zentralorgan des Feminismus alter Prägung, inzwischen umfangreich und sehr engagiert über die Ereignisse berichtet. Und dort scheut man sich auch nicht, klar zu benennen, daß die Täter wohl aus Nordafrika und dem islamischen Kulturkreis kommen. 

Und das war nicht überall so?

Kelle: Viele Medien in Deutschland und auch viele bekannte Feministen haben offenbar versucht, sich um diese Aussage herumzudrücken. Dabei ist doch klar, daß die Täter eben keine syrischen Flüchtlinge waren, sondern bekannte Kriminelle, die schon seit längerem in Deutschland leben. Da hat es offenbar mit der Integration nicht funktioniert. Angeblich seien ihre Asylanträge bereits abgelehnt worden, ohne daß man sie abschob. Sollte sich das als Tatsache erweisen, wäre dies ein handfester politischer Skandal.

Ist das vielleicht einfach ein Fall von betrunkenen Männern, die sich falsch verhalten haben? Auch einheimische Männer treffen schlechte Entscheidungen, wenn sie betrunken sind.

Kelle: Sie scherzen, oder? Natürlich werden Frauen auch anderswo in diesem Land sexuell belästigt, wer wollte das bestreiten? Und oft sind die Täter tatsächlich betrunken, etwa im Karneval. Aber das kann keine Entschuldigung sein. Daß sich Hunderte junge Männer zusammenrotten, um gemeinschaftlich Frauen sexuell zu belästigen, kannten wir bisher nur vom Tahrir-Platz in Kairo. Für Deutschland ist das eine neue Qualität. Sexueller Mißbrauch muß entschieden bekämpft werden. Aber bitte: Nicht Rainer Brüderle ist das Problem der Frauen. Dann schon eher diejenigen Männer, die Frauen für etwas Minderwertiges halten. Schauen Sie ins Internet, da gibt es Filme, wo ein Imam erklärt, wie man seine Ehefrau richtig schlägt, wenn sie nicht so will, wie ihr Mann das wünscht. Darüber sollten wir einmal eine öffentliche Diskussion führen.

Für Frauen macht es doch keinen Unterschied, wer die Täter sind.

Kelle: Das stimmt. Jeder Täter ist widerwärtig. Doch bei weitem nicht jeder Mann ist ein potentieller Täter. Und wenn wir mit manchen Männern aus bestimmten kulturellen Hintergründen mehr Probleme haben als mit anderen, dann müssen die Fakten auf den Tisch. Es sind ja nicht „alle“ Männer so. Wir haben es in Deutschland zu einer weit verbreiteten Gleichberechtigung von Mann und Frau gebracht. In der Regel begegnen sich Frauen und Männer in unserem Land auf Augenhöhe und mit Respekt. Das ekelhafte Verhalten dieser Täter in Köln stellt diese Errungenschaften in Frage, und das können wir nicht dulden. Um dieses Problem zu lösen, müssen wir auch benennen, wer diese Männer sind. Wenn die Polizei fahnden will, brauchen wir genaue Täterbeschreibungen, dazu gehört auch, zu sagen, woher sie offenbar stammten, welche Hautfarbe sie hatten, welche Sprache sie sprachen.

Sie haben sich im eher kleinen regionalen Nachrichtenportal NRW.jetzt als eine der ersten zu den Vorfällen geäußert. Die öffentlich-rechtlichen Sender und die großen Zeitungen haben erst mehrere Tage später über die Vorfälle berichtet und selbst dann den Hintergrund der Täter noch lange unterschlagen. Erleben wir den Bankrott eines etablierten Journalismus?

Kelle: So würde ich das nicht formulieren, aber es ist tatsächlich erstaunlich, daß ein großer öffentlich-rechtlicher Sender wie der WDR, der ja in Köln sitzt, oder Spiegel Online bis zum 4. Januar brauchten, um in das Thema einzusteigen. Die Kölner Tageszeitungen haben vom 1. Januar an online vorbildlich berichtet. Durch NRW.jetzt und dann die Pressekonferenz des Polizeipräsidenten am 4. Januar war das Thema dann groß auf dem Markt. Man muß zur Ehrenrettung der Medien auch sagen, daß die Kölner Polizei am 1. Januar eine Pressemitteilung verbreitet hat, daß es weitgehend friedliche Silvesterfeiern in der Stadt gab. Da dauert es ein wenig, bis die Medienmaschine anspringt. Daß dann in vielen Veröffentlichungen die Herkunft der Täter bewußt verschwiegen wurde, ist allerdings ein ganz anderes Thema.

Warum ist die Herkunft der Täter verschwiegen worden?

Kelle: Offenbar aus falsch verstandener Toleranz. Man fürchtet eine Diskussion über die Frage, wieviel Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen unsere Gesellschaft und ihre Bürger wollen. Mit dem Verschweigen von Fakten tut man allerdings den vielen anständigen Flüchtlingen und Asylsuchenden keinen Gefallen, denn man läßt Raum für Spekulationen. Der Schuß geht nach hinten los, wie gerade die Reaktionen im Internet zeigen. Da wollen Dumpfbacken gleich zur Lynchjustiz greifen und verurteilen pauschal sämtliche Fremden in unserem Land.

Die Opfer beschrieben die Angreifer als Araber und Nordafrikaner. Spielt der kulturelle und religiöse Hintergrund eine Rolle?

Kelle: Da ich die Täter nicht kenne, kann ich das nicht beurteilen. Aber wenn ich lese, was betroffene Frauen erzählen, habe ich nicht den Eindruck, daß es sich bei den Tätern um Männer handelte, die unser weit verbreitetes Verständnis von Gleichberechtigung und Menschenwürde teilen.

Ist die weiße Frau also die Verliererin der Einwanderung?

Kelle: Nicht nur die weiße Frau. Es ist ja bekanntgeworden, daß es auch in Erstaufnahmeeinrichtungen zu einer Reihe sexueller Übergriffe gegen Frauen und sogar Kinder gekommen ist. Frauenräte und sogar Pro Familia haben erklärt, es handele sich dabei keineswegs um Einzelfälle. Opfer sind da Frauen, die nach Deutschland gekommen sind, weil sie hofften, hier sicher zu sein.  Das war ein Trugschluß.

Sind die Ansichten Alice Schwarzers, ihre Kritik am Kopftuch und Gefahren durch die Islamisierung, Konsens in der feministischen Bewegung?

Kelle: Sie sind jedenfalls Konsens mit mir. Ich habe vorhin ein Radiointerview mit einer Islamwissenschaftlerin gehört, die die Ereignisse von Köln zwar verurteilte, aber dann munter relativierte, daß ja auch im Karneval oder in Indien Frauen von Nicht-Muslimen vergewaltigt und belästigt würden. Und dann hatte sie Sorge, daß nun „Rechte“ Rückenwind bekämen. Wie da über die massenweisen Angriffe auf junge Frauen in der Neujahrsnacht hinwegrelativiert wurde, verursacht bei mir Übelkeit.

Der Berliner Innensenator Frank Henkel hat in einer Pressemitteilung gesagt: „Wenn solchen Exzessen nicht Einhalt geboten wird, dann spielt das nur Rechtsextremisten in die Hände.“ 

Kelle: Was er sagt, ist ja nicht falsch: Wenn der Staat sein Gewaltmonopol nicht mehr aufrechterhalten und durchsetzen kann, stärkt das auch Extremisten. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Bürger das Recht selbst in die Hand nehmen, weil sie sich vom Staat im Stich gelassen fühlen. Doch bei uns sind die Probleme noch ganz anders gelagert. Man versucht sogar, eine Diskussion über die Probleme zu vermeiden, man ist nicht bereit, den Realitäten ins Auge zu sehen. 

Wie müßte also Ihrer Meinung nun eine Antwort auf die Vorfälle im Sinne der Frauen aussehen? Wie können solche Exzesse künftig verhindert werden, gerade auch mit Blick auf den Karneval in Köln?

Kelle: Ich sage voraus, daß es beim Karneval in Köln ein großes Polizeiaufgebot geben wird, das solche Auswüchse verhindert. Aber grundsätzlich können solche Exzesse kaum verhindert werden. Ich fürchte, daß wir Ähnliches auch in Zukunft erleben werden. In diesem Land verändert sich etwas, und anscheinend nicht zum Besseren.

Reicht ein Polizeiaufgebot alleine aus, um solche Taten in Zukunft zu verhindern? 

Kelle: Die Oberbürgermeisterin von Köln hat ja jetzt vorgeschlagen, daß junge Frauen „eine Armlänge“ von Fremden wegbleiben sollen. Das ist allerdings eine Idee, die mich sprachlos macht. Solange es keine klaren Konsequenzen für solche Straftäter gibt, und damit meine ich auch eine Abschiebung oder das Verwirken des Asylanspruchs, wird sich nichts ändern. Ich will keine „Verhaltensregeln“, sondern einen Rechtsstaat, der seine eigenen Regeln durchsetzt.






Birgit Kelle, nach ihrem Bucherfolg „Dann mach doch die Bluse zu“ von 2013 sorgte Birgit Kelle vergangenes Jahr mit „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ wieder für Aufmerksamkeit. Zeitweilig war sie Dauergast in deutschen Talkshows: Beckmann, Illner, Lanz, Will, Peter Hahne, Deutschlandfunk – alle wollten Kelle. Welt, Focus und Bild am Sonntag luden sie zu Gastbeiträgen ein. „Rhetorisch brillant“ nennt sie die FAZ, als eine Frau, „die sich traut, gegen den Strom zu schwimmen“, beschreibt sie der Spiegel. 2012 trat sie als Sachverständige in der Betreuungsgeld-Debatte vor dem Familienausschuß des Bundestages auf. Seit 2011 schreibt Kelle auch regelmäßig für die JUNGE FREIHEIT Sie sitzt im Vorstand des Dachverbands New Women for Europe und steht dem Verein Frau 2000 plus vor. Geboren wurde die Journalistin und Publizistin 1975 in Siebenbürgen, 1984 siedelte die Familie nach Deutschland aus. Sie ist verheiratet und Mutter von vier Kindern.

Foto: Silvester am Kölner Dom: „Daß sich Hunderte junge Männer zusammenrotten, um gemeinschaftlich Frauen sexuell zu belästigen, kannten wir bisher nur vom Tahrir-Platz in Kairo. Für Deutschland ist das eine neue Qualität.“

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