© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Wehrhaft unterstützen
Architektonische Perlen: Auf den Spuren des Oberlausitzer Sechsstädtebundes
Paul Leonhard

Die bärtigen Krieger blicken grimmig, aber aufmerksam. In ihren muskulösen Armen halten sie Stadtwappen umklammert: Kamenz, Löbau, Bautzen, Zittau und Lauban. Sie sind steinerne Symbole der Wehrhaftigkeit des Oberlausitzer Sechsstädtebundes. Oft stehen Schulkinder vor ihnen und zeichnen die Wappen ab. Oft auch Touristen, die dann den Stadtführer nach der sechsten Stadt fragen. Dann zeigt der ganz nach oben zum Giebel, wo noch ein prächtiges Wappen zu sehen ist. Das von Görlitz. Es ist ja das Rathaus der Neißestadt, und aus dem Blickwinkel der Görlitzer Stadtväter haben sich die Verbündeten unterzuordnen, wenn man mit ihnen schon das eigene Haus ziert.

Der Oberlausitzer Sechsstädtebund war ähnlich wie zuvor die Hanse und zahlreiche andere Bündnisse im 14. Jahrhundert entstanden. Die durch Handelsprivilegien zu Wohlstand gelangten Kommunen waren zu einer Macht geworden und wollten diese auch behalten. 1346 vereinbarten sie, sich bei der Verfolgung und Bestrafung von „mort brant dube roub und … andir boze sache“ zu unterstützen.

Bautzen gilt als Hauptstadt der Sorben

Noch heute sind alle sechs Städte architektonische Perlen. Görlitz als Stein gewordene architektonische Chronik mit einer komplett erhaltenen Altstadt, ist ein Lehrstück mitteleuropäischer Baugeschichte, in der sich um das gotische Zentrum gründerzeitliche Gebiete mit prachtvollem Jugendstil anschließen, um diese wiederum Siedlungsbau der 1920er Jahre und zur Autobahn hin ein großes Plattenbaugebiet aus DDR-Zeiten. Ähnlich präsentieren sich, wenn auch im kleineren Maßstab, Löbau und Zittau.

Von Dresden aus lassen sich zumindest die fünf auf dem Territorium der Bundesrepublik gelegenen Städte bequem auf der Autobahn 4 oder mit dem Zug erreichen. Auf der Bahnstrecke nach Breslau bietet sich dem Reisenden die prächtige Silhouette des tausendjährigen Bautzen mit seinen mittelalterlichen Wehranlagen und der Ordensburg. Erst dann kommt der Bahnhof, und wer hier im Zug sitzen bleibt, ist selbst schuld. Eine Viertelstunde braucht der Spaziergänger bis in die Innenstadt. Bautzen gilt auch als die Hauptstadt der slawischen Minderheit der Sorben, weswegen viele Schilder zweisprachig sind.

Die Stadt der Türme ist eine quirlige kleine Metropole voller Leben. Auf Schritt und Tritt sind die Spuren der vergangenen Jahrhunderte zu entdecken. Aber auch die reichlich in die Stadt geflossenen Städtebau- und Denkmalschutzmittel können nicht verbergen, wie hart Bautzen im Zweiten Weltkrieg umkämpft war.

Die Baulücken in Löbau, der nächsten Eisenbahnstation (die Autobahn verschmäht die Stadt) stammen dagegen aus jüngster Zeit. Die Stadt schrumpft, und so manches Jugendstilgebäude sollte man sich schnell anschauen, ehe es endgültig zusammengebrochen ist. Deutlichstes Symbol für den Niedergang ist das schmucke, aber verschlossene Bahnhofsgebäude. Geographisch ordnet sich Löbau nach dem deutsch-sorbischen Bautzen und vor der Kleinstadt Reichenbach/Oberlausitz und dem sächsisch-niederschlesischen Görlitz ganz eindeutig dem Freistaat zu, denn so steht es auf dem Bahnsteig: Löbau/Sachsen. Ein prächtiges Wappen ziert das schmucke Rathaus. Der Platz davor lebt, vor allem wenn Markt ist. Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist die Villa Schminke. Das für die Nudelfabrikantenfamilie Schminke Anfang der dreißiger Jahre von Hans Scharoun entworfene und gebaute Einfamilienhaus gilt weltweit als ein Leitbau der Moderne. Wer es rustikaler mag, sollte einen Abstecher zu den Ostsächsischen Eisenbahnfreunden unternehmen, die nahe dem Bahnhof ihr Domizil haben und hier voller Enthusiasmus Dampflokomotiven pflegen.

Die nächste Station auf der Reise ist Görlitz. Eine Stadt, die nicht nur zweigeteilt ist, weil seit 1945 die Oststadt, das jenseits der Neiße gelegene Zgorzelec, zu Polen gehört, sondern unter ihren Einwohnern strittig ist, ob sie sich nun als Sachsen oder als Niederschlesier fühlen sollen. Oder gar als Oberlausitzer? Als nach der friedlichen Revolution der Freistaat Sachsen neu gegründet wurde, machten die Väter der Landesverfassung den Görlitzern und den in der Stadt lebenden Vertriebenen ein Zugeständnis: Sie dürfen gleichberechtigt zu den sächsischen Farben auch die Niederschlesiens führen.

Was Görlitz mit schlesischer Geschichte zu tun hat, darüber berichten in der Stadt, die Denkmalpapst Gottfried Kiesow einmal als die schönste Deutschlands bezeichnet hat, gleich mehrere Museen: neben dem Schlesischen Museum die im Barockhaus Neißstraße und im Kaisertrutz untergebrachten Städtischen Sammlungen, die auch über eine äußerst interessante Ausstellung der Moderne verfügen. Und dann gibt es noch die polnische Sicht, untergebracht im direkt an der Neiße gelegenen Lausitz-Museum. Ursprünglicher Sitz der Görlitzer Sammlungen war das heute in Zgorzelec gelegene Kaiser-Friedrich-Museum mit Oberlausitzischer Gedenkhalle, das heute der Stadt Zgorzelec als Kulturhaus dient. Viele Görlitzer Kunstgegenstände waren während des Zweiten Weltkrieges nach Niederschlesien ausgelagert worden und sind heute unter anderem im Nationalmuseum in Warschau zu sehen. Deswegen ist auch im prächtigen Büchersaal der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften so manche Lücke zu entdecken.

Kamenz trägt den Beinamen Lessing-Stadt

Von Görlitz aus kann man mit dem Zug weiter nach Zittau reisen. Die einst zu Böhmen gehörende Handelsstadt, die zu Zeiten des Städebundes den Beinamen „Die Reiche“ führte und mit Görlitz spätestens seit dem Bierkrieg verfeindet ist, hat durch die Grenzziehung 1945 mit ihrem natürlichen Hinterland auch ihren Reichtum verloren. Die Kleinstadt Reichenau (Bogatynia) und zwei Dutzend Dörfer wurden Polen zugeschlagen. Das erhielt damit auch die mächtigen Braunkohleflöze. Erst nach der politischen Wende 1989 konnte Zittau sein staubiges Kleid ablegen und sich neu definieren. Attraktiv ist vor allem die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstörte Altstadt.

Rings um Zittau lauert aber schon die Konkurrenz. Nicht weit ist es von hier bis nach Reichenberg (Liberec) und zu Wallensteins Burg Friedland. Herrnhut, die Stadt der Brüdergemeine, lockt mit einem sehenswerten ethnographischen Museum und der Sternemanufaktur. Die Schmalspurbahn dampft durch das Zittauer Gebirge bis in den Kurort Oybin, über dem eine malerische Burgruine thront. In dem kleinen Ort hatte Hitler einst den ihm gewogenen Großmufti von Jerusalem samt Gefolge untergebracht, als die Bombenangriffe auf Berlin zunahmen. Und dann breitet sich von Zittau aus das Umgebindeland aus.

Von Zittau aus könnte man wieder nach Löbau fahren oder zurück nach Görlitz und unterwegs einen Abstecher zum Kloster Sankt Marienthal unternehmen. Die Zisterzienserinnenabtei ist eines der ältesten noch betriebenen Klöster Deutschlands und liegt malerisch im Neißetal an einem ausgebauten Fahrradwanderweg.

Von Görlitz aus ist es nicht mehr weit bis Lauban, das heute Luban heißt. Von seinen polnischen Einwohnern wurde die kurz vor Kriegsende noch einmal zurückeroberte, schwer zerstörte Stadt, die zu deutschen Zeiten das Zentrum der Taschentuchherstellung war, analog der alten Strukturen wieder aufgebaut, und einem gemütlichen Stadtbummel steht nichts im Wege. Aber da ist noch die sechste Stadt des Bundes: Beruft sich Görlitz auf den Schusterphilosophen Jacob Böhme als bedeutenden Sohn, so hat sich Kamenz den Beinamen Lessing-Stadt gegeben und auch das Museum nach ihm benannt. Aber auch vor Kamenz gibt es wenn nicht unbedingt architektonische, so doch kulinarische Verführung: das kleine Pulsnitz mit seinen Pfefferkuchenmanufakturen. Einfach lecker.