© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

„Im Westen wartet Land“
Pommersche Geschichte ab 1945: Polnische Historiker erinnern an die Besiedelung der deutschen Ostprovinz
Konrad Faber

Viele polnische Historiker schrecken heutzutage, im Gegensatz zur Masse ihrer deutschen Fachkollegen, vor „heißen Eisen“ in der Geschichtsschreibung nicht zurück und vollbringen dabei achtbare Leistungen. Ein aktuelles Zeichen dessen ist das Sonderheft 6 der in Mecklenburg-Vorpommern erscheinenden historischen Zeitschrift Zeitgeschichte regional. Darin sind insgesamt neun ins Deutsche übersetzte Aufsätze polnischer Historiker aus den Jahren 2003 bis 2009 enthalten, welche sich mit den unterschiedlichsten Aspekten pommerscher Geschichte ab 1945 befassen. Dabei spielen natürlich die Flucht und Vertreibung der Pommern und die Neuansiedlung von Polen eine zentrale Rolle.

Alina Hutnikiewicz beschreibt in ihrem Artikel die Neubesiedlung Pommerns und illustriert ihren Beitrag mit einem polnischen Propagandaplakat von 1945 mit dem unmißverständlichen Versprechen „Im Westen wartet Land“. Weil „Westpommern“ infolge von Flucht und Vertreibung damals schon ziemlich menschenleer war, siedelte man hier neben Polen auch in größerem Umfang Juden und sogar Zigeuner an. Die Polen waren größtenteils nicht etwa Landsleute aus den an die Sowjetunion gefallenen ostpolnischen Gebieten, sondern vorwiegend Menschen aus Zentralpolen, Ex-Soldaten der Polnischen Armee und sogar polnische Remigranten aus dem Westen. Gerade für die Juden war die Ansiedlung im Raum Stettin aber nur eine Durchgangsstation auf dem weiteren Weg nach Westen, wie Hutnikiewicz belegt. 

Eine zwiespältige Rolle bei der polnischen Besiedlung Pommerns spielte der katholische Klerus. Einerseits unterlag er schon ab 1945 einer wachsenden Bespitzelung und Unterwanderung seitens der polnischen Geheimpolizei. Andererseits wurde mit aktiver Unterstützung, zumindest aber mit wohlwollender Duldung katholischer Kleriker die in Pommern einst vorherrschende evangelische Kirche in eine Diasporarolle gezwungen und brutal ihres einstigen Eigentums beraubt. 

Jan Wild beweist anhand eines politischen Schauprozesses, des „Stettiner Prozesses“ von 1968, wie dabei unschuldige polnische und auch deutsche Staatsbürger evangelischen Glaubens kriminalisiert und ins Gefängnis geworfen wurden. Dieser antievangelischen Welle folgend, unternahmen dann polnische katholische Kleriker erfolgreiche Versuche, sich widerrechtlich ganze evangelische Kirchen anzueignen, wie es 1973 in Objezierze (Wobeser) geschah. 

Betrachtet man aussagekräftige Fotografien wie etwa jene, die den polnischen kommunistischen Staatspräsidenten Boleslaw Bierut 1947 während des Gottesdienstes in Stettin zeigt, kann man wahrlich von einem unheiligen Bündnis von Kommunisten und Teilen der katholischen Kirche in Polen sprechen. Dies offen aufzuzeigen, das erfordert auch im heutigen Polen noch beträchtlichen Mut. 

Genau diesen Mut bringt auch der Historiker und katholische Priester Roman Kostynowicz auf, der in seinem Aufsatz den Umgang mit sakralen Objekten in Hinterpommern 1945 bis 1950 beschreibt. „Sakrale Objekte“, das waren in erster Linie die pommerschen evangelischen Kirchen, welche mit ihren Kunstschätzen 1945 in den Kampfhandlungen zugrunde gingen oder wie in Schivelbein von siegestrunkener sowjetischer Soldateska abgefackelt wurden. Während von etwa 700 pommerschen Kirchen nach dem Krieg etwa 170 in Trümmern lagen, wurden nochmals 100 Kirchen auf staatliche Anordnung hin abgerissen. Kostynowicz reibt seinen Landsleuten deutlich unter die Nase, daß diese zwar die Zerstörung polnischer Kirchen und Friedhöfe im Wilna-Gebiet und im Raum Lemberg durch die Sowjets beklagten, in Pommern aber damals nicht anders handelten. 

Einen spannenden Aufsatz widmet der Stettiner Historiker Tomasz Slepowronski dem „Seekrieg“ zwischen der DDR und Polen 1985 bis 1989 in der Pommerschen Bucht. Wenngleich der Hafen von Stettin und seine Ansteuerung ab 1945 polnisches Hoheitsgebiet wurden, gerieten infolge der einseitigen Ausweitung der DDR-Hoheitsgewässer auf 12 Seemeilen ab dem 20. Dezember 1984 nicht unerhebliche Teile der Ansteuerung zum Stettiner Hafen unter formelle DDR-Hoheit. Sogleich wurde diese von den DDR-Grenzbehörden gewaltsam durchgesetzt, indem vielfach polnische Sport- und Fischereifahrzeuge gerammt wurden. Dahinter stand der politische böse Wille der DDR-Führung, welche als kommunistischer Musterschüler es den polnischen „Revisionisten und Abweichlern“ einmal so richtig zeigen wollte. Massive Verhandlungsfehler der inkompetenten polnischen Interessenvertreter bei den einschlägigen Verhandlungen spielten gleichfalls eine negative Rolle. Dem Herausgeber Gero Lietz, welcher viele der Aufsätze persönlich aus dem Polnischen übersetzte, ist für diese spannende und belehrende Lektüre zu danken.