© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

„Völlig enthemmt und aggressiv“
Kriminalität: Die politische Aufarbeitung der Übergriffe auf Frauen in Köln zwischen Schuldzuweisungen und Aktionismus
Christian Schreiber / Felix Krautkrämer

Die Ausschreitungen während der Silvesternacht in Köln (siehe auch Seite 7) haben mittlerweile rund 553 Strafanzeigen zur Folge. In 45 Prozent der Fälle ermitteln die Kriminalbeamten demnach wegen Sexualstraftaten und konzentrieren sich dabei auf Personen aus nordafrikanischen Ländern. 

Die Bundespolizei hatte bis Wochenbeginn knapp 40 Tatverdächtige identifiziert, die Hälfte von ihnen waren Asylbewerber. Wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin sagte, handelt es sich bei den festgestellten Delikten überwiegend um Körperverletzungen und Diebstähle. Sexualdelikte seien bisher nicht mit den Asylbewerbern in Verbindung gebracht worden, hieß es. Bei den Ermittlungen zum Verbleib der bei den Übergriffen gestohlenen Handys wurden diese teils in Flüchtlingsunterkünften geortet. „In manchen Fällen führte deren Spur in Flüchtlingsheime oder deren unmittelbares Umfeld“, hieß es in einem Polizeibericht.

Innenminister kritisiert die Polizei

Ein erstes politisches Opfer gab es bereits am vergangenen Wochenende. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) versetzte den in die Kritik geratenen Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers in den einstweiligen Ruhestand. „Meine Entscheidung ist jetzt notwendig, um das Vertrauen der Öffentlichkeit und die Handlungsfähigkeit der Kölner Polizei zurückzugewinnen – auch mit Blick auf die anstehenden Großveranstaltungen“, sagte Jäger, der der Polizei eine Mitschuld an der Eskalation während der Silvesternacht zuschob. „Das Bild, das die Kölner Polizei  abgegeben hat, ist nicht akzeptabel. Um die massiven Angriffe und weitere Straftaten zu verhindern, hätte die Kölner Polizei auf zusätzliche, in der Nacht verfügbare Einsatzkräfte zurückgreifen müssen, betonte Jäger. Sie habe aber die angebotene und „dringend benötigte Verstärkung für diese unerwartete Lageentwicklung“ nicht abgerufen, sagte der Minister der Nachrichtenagentur dpa. Jäger räumte ein, daß es sich bei den Straftätern von Köln „fast ausschließlich um Migranten“ gehandelt habe.

Am Montag legte Jäger dem Innenausschuß einen detaillierten Bericht zu den Übergriffen in Köln vor. Danach begann das Treiben am Silvestertag gegen 21 Uhr auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes und den Treppen zum Kölner Dom. Dort hätten Polizisten „eine Gruppe von 400 bis 500 Menschen festgestellt, bei denen es sich in der Mehrzahl um männliche Personen mit Migrationshintergrund handelte“.

Diese seien als „nordafrikanisch/arabisch“ beschrieben worden und zum Teil stark alkoholisiert, „völlig enthemmt und aggressiv“ gewesen. Die Ausländer beschossen andere Personen und die Polizei gezielt mit Feuerwerkskörpern. Zudem bildeten sie Gruppen, „die unter anderem Frauen massiv sexuell bedrängten und sie teilweise bestahlen“.

Die Opfer seien „nahezu ausschließlich“ Frauen gewesen. „Sowohl Einsatzkräfte der Polizei Köln und der Bundespolizei als auch Zeugen berichteten von zeitweilig chaotischen Zuständen.“ Im Laufe des Abends wuchs die Gruppe auf 1.000 bis 1.500 Menschen an, heißt es in dem Bericht. Der Großteil der kontrollierten Personen wies sich vor Ort lediglich durch einen Registrierungsbeleg als Asylsuchender aus.“ Trotz der Anwesenheit der Bereitschaftspolizei sei es zu sexuellen Übergriffen auf Frauen gekommen.

In einer Anlage zu dem Bericht werden die einzelnen Delikte aufgeführt, die von den Opfern zur Strafanzeige gebracht wurden. Es handelt sich neben Raub und Beleidigung fast ausnahmslos um Sexualstraftaten. An einer Stelle heißt es: „Bei allen (Opfern, JF) versucht, Finger in Scheide einzuführen, mißlang wegen Strumpfhose. Alle wurden an Brust und Gesäß gefaßt. Einer Geschädigten wurde Finger eingeführt.“ Ein anderer Sachverhalt wird wie folgt geschildert: „An Hintern und in Schritt gefaßt. 1 x Handy entrissen.“ Zwei Frauen wurde „Hand in Hose gesteckt, Hintern berührt. In die Taschen gegriffen, Handy herausgenommen, ‘überall’ berührt“. Ein weiterer Fall: „Gruppe 20 Männer (Nordafrikaner) hielten Geschädigte fest und griffen vorne in die Hose. Anschließend wurde Geldbörse entwendet.“

Wenig später: „Griff an Po und Scheide, andere Person versucht, Handtasche zu entreißen“. Drei Frauen wurden von einer „Gruppe Nordafrikaner umzingelt. Dann in Schritt, Busen und in die Hose gefaßt. Handy anschließend entwendet. Handtasche wurde versucht, zu entwenden“. Selbst im Bahnhof waren die weiblichen Opfer nicht sicher. „Der Geschädigten wurde am Bahnsteig der S11 unter dem Kleid an den Genitalbereich gefaßt“, so der Bericht weiter. In fast allen Fällen mußten sich die belästigten und begrapschten Frauen gegen mehrere Täter gleichzeitig wehren. „Die Tatbegehungsform sexualisierter Gewaltstraftaten durch Gruppen in Verbindung mit Eigentums-/Raubdelikten ist in der Ausprägung der Kölner Gewalttaten in Deutschland nicht aufgetreten“, lautet das Fazit des Innenministeriums.

Der Spiegel berichtete unterdessen, daß den Sicherheitsbehörden Hinweise vorliegen, daß sich eine dreistellige Anzahl Männer aus dem mutmaßlichen Tätermilieu für die Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof verabredet hatte. Derartige Taten bei Massenveranstaltungen gibt es seit Jahren in Nordafrika, zuerst wurden sie in Ägypten beobachtet. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) geht ebenfalls davon aus, daß die Übergriffe auf Frauen organisiert waren. „Wenn sich eine solche Horde trifft, um Straftaten zu begehen, scheint das in irgendeiner Form geplant worden zu sein. Niemand kann mir erzählen, daß das nicht abgestimmt oder vorbereitet wurde“, sagte Maas der Bild am Sonntag.  Die Kölner Exzesse als Beleg zu sehen, daß die Integration gescheitert sei, sei weder angemessen noch zutreffend.  „Wer an diesen Taten beteiligt war, ist ein Krimineller, und so muß er auch behandelt werden. Die Straftaten als Beweis dafür zu sehen, daß alle Ausländer bei uns nicht integrierbar sind, halte ich für kompletten Unsinn.“

Abschiebungen sollen erleichtert werden

Unklar blieb bis zuletzt, ob es eine interne Dienstanweisung gegeben hatte, die Herkunft der Täter zu verschweigen. Der Kölner Polizei war vorgeworfen worden, nach den Vorfällen Hinweise auf die Herkunft der Verdächtigen nicht veröffentlicht zu haben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte, daß es „ keine Schweigespirale“ geben dürfe: „Schon gar nicht darf sie von der Polizei ausgehen.“ 

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, kritisierte unterdessen die Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Polizei. Man dürfe sich nicht länger „mit seinem Herrschaftswissen“ zurückziehen. Man dürfe nicht so tun, „als wüßten wir das alles nicht“. Verschweigen und politische Korrektheit müßten aufhören. Allerdings äußerte Wendt auch Verständnis für politische Befindlichkeiten: „Wir sind aber immer auch in der Gefährdung, daß man uns nachsagt oder unterstellt, wir würden irgendwelche rechten Ressentiments bedienen.“

Vertreter der Großen Koalition überboten sich in den vergangenen Tagen mit Forderungen, härter gegen Sexualstraftäter vorzugehen. Die CDU veröffentlichte zum Abschluß ihrer zweitägigen Klausur eine „Mainzer Erklärung“, in der sie sich für schärfere Gesetze zur schnelleren Abschiebung von ausländischen Straftätern starkmacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel will zudem rechtliche Möglichkeiten für raschere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber prüfen. Die Union fürchtet offenkundig, sie könne vor den drei Landtagswahlen im März weiteren Boden an die AfD verlieren. „Die Stimmung an der Basis ist unterirdisch“, sagte der Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann. 

Am Dienstag verkündeten Union und SPD eine erste Einigung. Straffällige Ausländer sollen künftig bereits ausgewiesen werden können, wenn sie wegen schwerwiegender Delikte zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurden. Das betrifft Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder das Eigentum – auch Widerstand gegen Polizeibeamte zählt dazu. Zukünftig liegt in diesen Fällen ein „besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ vor. In diesen Fällen sei eine Abschiebung so gut wie sicher. Dabei soll auch keine Rolle spielen, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde oder nicht. Bisher greift die Regelung nur bei Gefängnisstrafen von mindestens zwei Jahren.

Foto: Szene in der Silvesternacht in Köln zwischen Hauptbahnhof und Dom:  Ungeahntes Ausmaß an sexueller Gewalt