© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Beispiellose Zahlen
Bevölkerungsentwicklung: Der Migrationsbericht 2014 wird von der Asylstatistik des vergangenen Jahres in den Schatten gestellt
Marcus Schmidt

Eigentlich stand der Migrationsbericht der Bundesregierung auf der Tagesordnung. Doch die Vorstellung der Statistiksammlung, die auf den 2014 erhobenen Daten basiert, wurde in der vorigen Woche schnell von einer wesentlich aktuelleren Zahl überlagert. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bestätigte in der Bundespressekonferenz offiziell, was seit Wochen wenn nicht Monaten als ungute Ahnung durch die Öffentlichkeit waberte: 2015 kamen nach Zählung der Behörden 1.091.894 Menschen nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Zusammen mit den anderen Wanderungsbewegungen (EU-Binnenwanderung, Arbeitsmigration, Familiennachzug), die im selben Zeitraum die Bundesrepublik zum Ziel hatten, dürfte die Zahl der Einwanderer noch wesentlich höher ausfallen, wie ein Blick in den Migrationsbericht für 2014 zeigt. Damals kamen mit 1,5 Millionen so viele Menschen in das Land wie seit 1992 nicht mehr – darunter knapp 203.000 Asylbewerber. Für 2015 rechnet de Maizière Angesichts von einer Million Flüchtlingen nun mit dem höchsten Zuzug seit 1950.

Derzeit ist eine genaue Aussage schwierig. Noch immer ist die Zahl der Ausländer, die 2015 ohne Registrierung nach Deutschland gekommen sind, nicht bekannt, gestand der Innenminister ein. Ebensowenig wissen die Behörden, wie viele von diesen Asylbewerbern, die auf dem Höhepunkt des Ansturms im Sommer direkt von der bayerischen Grenze ohne Registrierung gleich in Unterkünfte im Hinterland gebracht wurden, mittlerweile ordnungsgemäß erfaßt wurden. Mehrfach war in diesem Zusammenhang darüber berichtet worden, daß manche dieser illegal eingereisten Ausländer auf dem Weg in ihre Erstaufnahmeeinrichtung einfach verschwunden sind. Vermutlich wurde zumindest ein Teil dieser Geister-Flüchtlinge mittlerweile doch noch registriert. Denn nur so haben sie Anspruch auf Leistungen der Behörden. 

De Maizière gab sich zuversichtlich, daß die Zahl der Asylbewerber im nachhinein noch unter die psychologisch wichtige Hürde von einer Million rutschen wird. Als Grund nannte er Mehrfachregistrierungen von Einwanderern im EASY-System des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Eine neue Software soll künftig solche Mehrfachregistrierungen verhindern und den Datenaustausch zwischen den Behörden verbessern. Zugleich müßte noch die Ausländer abgezogen werden, die Deutschland bereits wieder verlassen haben, beispielsweise in Richtung Schweden.

Auffällig bei den Asylzahlen des abgelaufenen Jahres ist die große Differenz zwischen der Gesamtzahl der (potentiellen) Asylbewerber und den tatsächlich bereits gestellten Anträgen. Diese bezifferten sich Ende 2015 auf 441.899. Das Bamf sitzt zudem derzeit noch auf einem Altbestand von 360.000 Anträgen, über die aufgrund der Überlastung der Behörde noch nicht entschieden wurde. Mittlerweile sei die Situation im Bamf, das um 4.000 Stellen aufgestockt werde, aber „sehr vielversprechend“, versicherte der Minister. „Wir arbeiten daran, daß wir im Spätsommer vor die Welle kommen“, gab de Maizière mit Blick auf die Altfälle als Ziel aus.

Auch wenn der Innenminister mehrfach betonte, die Bundesregierung arbeite daran, die Zahl der Asylbewerber 2016 deutlich zu reduzieren  – mehr als Zweckoptimismus verbreitete er nicht. Vielmehr wies de Maizière darauf hin, daß die Zahl der Flüchtlinge nach einem Rückgang Ende Dezember im neuen Jahr wieder angestiegen sei. Sorge bereite ihm zudem, daß mittlerweile Marokko bei den Herkunftsländern der Asylbewerber an fünfter Stelle stehe. Auch aus einem weiteren nordafrikanischen Land, Algerien, kämen seit einigen Wochen immer mehr Menschen. Dagegen habe die Zahl der Asylbewerber vom Westbalkan deutlich abgenommen.

Vieles, so wurde deutlich, ist derzeit im Fluß. Anfang 2017, wenn der Migrationsbericht für 2015 veröffentlicht wird, dürfte dieser daher nur noch wenig mit dem aktuellen Report gemein haben. 

(Für die Grafiken siehe PDF)