© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Eine überfällige Kurskorrektur
Aktienmarkt: US-Zinserhöhung und Chinaabsturz führen zu Verlusten im Dax / Keine zweite Lehman-Krise
Thomas Kirchner

Statt mit der erwarteten Börsenrallye begann das neue Jahr mit heftigen Kursrückgängen. Schlechte Vorgaben aus China und schwache Rohstoffpreise, allen voran Öl, sind die beiden Hauptschuldigen. Zum Wochenauftakt sackte der Shanghai-Composite-Index erneut um 5,3 Prozent ab. Viel Kapital ist in den vergangenen Jahren in Öl- und Rohstofförderung geflossen, und vieles davon wird verloren sein, wenn die Rohstoffkurse sich nicht bald wieder erholen. Das drückt die Kurse der Förderunternehmen, aber auch der zahlreichen Dienstleister. China, seit einem Jahrzehnt Importeur Nummer eins vieler Rohstoffe, ist das Sorgenkind der Energie- und Roh­stoffinvestoren.

In Peking kann man aber keine „ungezügelten Finanzmärkte“ wie bei der Lehman-Pleite 2008 für den Crash verantwortlich machen. Stattdessen waren es die spekulativen Investitionsblasen der kommunistischen Wirtschaftsplaner, die leerstehende Flughäfen und Städte errichten ließen (JF 18/15). Die keynesianische Idee einer Entwicklungspolitik durch schuldenfinanzierte staatliche Investitionen führte schon im Lateinamerika der 1980er Jahre zu einer Schuldenkrise. Auch Japans übermächtiges Handels- und Industrieministerium (MITI) schien den perfekten Weg des Staatskapitalismus gefunden zu haben – bis das Land Anfang der 1990er Jahre abstürzte und sich trotz Megainvestitionen und Monetarisierung der Staatsschuld bis heute nicht davon erholt hat (JF 23/13).

Während alles gut lief, galt auch der chinesische Staatskapitalismus bei westlichen Etatisten als Alternative zum freien Markt. Chinas Kommunisten stellen jetzt mit Schrecken fest, daß sie nicht die ersten sind, die einer maßlosen Selbstüberschätzung erlegen sind und daß es bei ihnen auch nicht besser endet. Wie in Japan bleibt eine Schuldenlawine zurück – allerdings noch um einiges gigantischer. Darin liegt das wahre Problem der chinesischen Wirtschaft.

Der chinesische Aktienmarkt reflektiert diese Probleme, aber auch die Auswirkungen der Nullzinspolitik. Wie überall auf der Welt haben Sparer lieber Aktien als Anleihen erworben. In China kommt noch die mangelnde Reife des Markts dazu. Manche Privatinvestoren erwerben Aktien nicht nach Gewinnaussichten der Unternehmen, sondern nach Glückszahlen und Zahlenmagie. So konnte sich eine Börsenblase aufbauen, die jetzt platzt. Außerdem hat der Kreditboom in China sein böses Ende erreicht, was auch Auswirkungen auf den Westen haben wird.

Vom deutschen Maschinenbau bis hin zu französischen Wein- oder Modekonzernen haben viele internationale Unternehmen von der planwirtschaftlich gewollten chinesischen Investitionsblase profitiert. Daß sich ihr Platzen auf Gewinne in Europa und Amerika auswirken wird ist absehbar. Yum! Brands (Little Sheep Group, KFC, Pizza Hut), Wynn Resorts, der ohnehin gebeutelte VW-Konzern, Swatch oder Burberry haben mit die größten Gewinneinbußen von einem Einbruch des chinesischen Geschäfts zu erwarten.

Technischer Fortschritt bringt keine echte Deflation

Inzwischen trauen die Chinesen selbst ihren Planwirtschaftlern nicht mehr. Im dritten Quartal zogen sie viermal soviel Kapital ab wie im Quartalsdurchschnitt des Vorjahrs, und allein im Dezember mehr als drei Prozent der Devisenreserven. Kein Wunder, denn es schafft kein Vertrauen, wenn die Regierung Börsenmakler verhaften läßt und Devisenkontrollen verschärft, sobald die Kurse fallen. Am 1. Januar wurde das kurzfristige Aussetzen von Notierungen zur Stabilisierung des Marktes ermöglicht, nach vier Handelstagen aber schon wieder kassiert. Mit solchen Kapriolen verfestigen die Behörden ihren Ruf von Hilflosigkeit und Inkompetenz.

Im Westen laufen Zentralbanken Inflationszahlen hinterher, die schon lange nicht mehr die Realität der Wirtschaft reflektieren. Gerade im Technikbereich, der einen immer höheren Anteil des Warenkorbs einnimmt, fallen die Preise aufgrund des technischen Fortschritts. Fortschritt ist aber keine Deflation im klassischen Sinne, die mit Geldpolitik bekämpft werden könnte.

Insbesondere bei langlebigen Investitionsgütern wie Immobilien oder Unternehmen gibt es seit Jahren eine Inflation der Bewertungen. Diese Preissteigerungen fließen nicht in den Verbraucherindex ein, sind aber nicht minder gefährlich als Preissteigerungen bei Konsumgütern. Seit Jahren wurde eine Scheindeflation mit Nullzinsen bekämpft, obwohl die Inflation bei Investitionsgütern höhere Zinsen gerechtfertigt hätte. Endlich ziehen jetzt die US-Zinsen an, doch leider genau zu dem Zeitpunkt, wo China kollabiert. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ trifft heute auf Zentralbanken zu.

Die Kurssteigerungen der Börsen in den letzten anderthalb Jahrzehnten sind durch Effizienzgewinne gerechtfertigt. Da sind zum einen Produktivitätssteigerungen durch neue Technologien, billige Kommunikation und günstige Transportkosten. Die Massenproduktion hat bisher ungeahnte Dimensionen erreicht und senkt Stückkosten. Zum anderen haben Unternehmen ihre Strukturen optimiert und arbeiten dadurch mit nie dagewesener Effizienz, wobei in Europa hier noch Nachholbedarf besteht. 

Wenn jetzt Zinserhöhung und Chinakrise zusammenkommen, ist es kein Wunder, daß die Börsen – auch der deutsche Leitindex Dax – nachgeben, angesichts der Unsicherheiten in China auch noch länger. Doch im großen und ganzen sieht es gut aus für Unternehmensgewinne. Ein Absturz wie nach der Lehman-Pleite ist zumindest in Europa und Nordamerika äußerst unwahrscheinlich, insbesondere weil das chinesische Finanzsystem vom Rest der Welt weitgehend isoliert ist. Von China und anderen aufstrebenden Märkten sollte man aber noch die Finger lassen, bis es später im Jahr dort gute Einstiegsmöglichkeiten gibt.