© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Pankraz,
J.-L. Godard und die verächtliche Politik

Ich hasse sie nicht. Ich verachte sie“, sagte ein aufgeweckter Junge und meinte damit die momentan herrschenden Gewalten in der deutschen Politik und in den zugehörigen „Leitmedien“. Der Junge drückte damit – wenn Pankraz richtig beobachtet – eine Geisteshaltung aus, die sich zur Zeit hierzulande rapide ausbreitet, und zwar nicht nur unter der Jugend. Wo man auch hinhört und wo man auch nachfragt, überall nur verächtliches Achselzucken über die (Un)taten der Berliner „Mutti“ und ihrer engeren und weiteren Entourage.

„Irre Bocksprünge“, „Lügenpresse“, „Panikorchester“ – das sind noch die harmlosesten Benennungen, die in der neuen Verachtungskultur kursieren. Mitteilungen, die früher Empörung und eventuell sogar grimmige Haßtiraden ausgelöst hätten, etwa die über die Art und Weise, wie offizielle Entscheidungsträger in den Medien ihren Reportern und Kommentatoren ungeniert das Vokabular vorschreiben und ihnen gewisse Tatsachenbehauptungen verbieten, lösen mittlerweile nur noch sarkastisches Lächeln aus. „Was wollen Sie denn? So sind die nun mal. Alles von oben organisiert und kontrolliert.“

Einige Kritiker schlagen darüber Alarm und sprechen von einer „empfindlichen Schwächung der demokratischen Diskursgesellschaft“. Sicherlich, der öffentliche Diskurs dürfe auf seiten der Opposition nicht in „pure Hetze“ und „wilde Haßgesänge“ einmünden, aber „bloße Verachtungsgestik“ sei keine brauchbare Alternative dazu. Denn Verachtung führe letzten Endes unweigerlich zu schlichter politischer Untätigkeit. Man gehe nicht mehr zur Wahl, besuche keine politischen Veranstaltungen mehr, schalte die „Tagesschau“ ab – und überlasse so das Geschäft just jenen Kräften, die man doch eigentlich abschaffen wolle.


Stimmt das denn aber? Ist die Verachtung als politisches Instrument tatsächlich eine so stumpfe Waffe? Davon kann wohl kaum die Rede sein. Zunächst gilt es zu bedenken, daß es Perioden gibt, wo ein gediegener politischer Diskurs gar nicht mehr möglich ist, aller demokratischen Fassadenmalerei zum Trotz. Es gibt da eine Große Koalition linker Gutmenschen, die von Angela Merkel bis zu Gregor Gysi reicht und die jeden Versuch, jenseits von ihr Oppositionen aufzubauen, mit Hilfe ihrer Medien rücksichtslos und mit buchstäblich allen Mitteln niedermacht und kriminalisiert.

Gegen eine solche Diktatur hilft à la longue nur noch nackte Revolution von unten – oder eben eine Kultur der Verachtung, die das herrschende Kartell Tag für Tag und in allen nur denkbaren Situationen spüren läßt, was es von ihm hält, nämlich nichts. Außer Wahlenthaltung, Boykott politischer Reklame-Veranstaltungen und Nichtmehrkaufen halboffizieller „Führungsmedien“ bietet sich eine breite Palette weiterer Einflußmöglichkeiten an, von der Vermehrung verächtlicher Redensarten à la Götz von Berlichingen bis hin zur Etablierung verächtlicher Gesten am richtigen Ort.

Pankraz kann sich nicht vorstellen, daß der politisch-mediale Komplex gegenüber einer intensivierten Verachtungskultur lange gleichgültig bleiben könnte. „Herrschaft will Herrlichkeit“, konstatierte seinerzeit schon Giorgio Agamben. Macht braucht Glanz und Gloria, und das erschöpft sich nicht (oder am wenigsten) in äußerlicher Prachtentfaltung, sondern der Mächtige will vor allem respektiert und freiwillig anerkannt, ja regelrecht geliebt werden. Schlägt ihm stattdessen spürbar und permanent kalte Verachtung entgegen, wird er auf Dauer wacklig werden und vielleicht in sich gehen. 

„Mögen sie mich ruhig hassen, wenn sie mich nur fürchten“, verkündete einst der (schlechte) römische Kaiser Caligula (12 bis 41 n. Chr.). Er sagte nicht „Mögen sie mich ruhig verachten, wenn sie mich nur fürchten“. Vor der Verachtung hatte er offenbar mehr Angst als vor dem Haß, und zwar mit Recht. Er wurde von seiner eigenen Prätorianergarde ermordet, nicht weil ihn diese haßte, sondern weil sie ihn als einen Schlappschwanz und sinnlosen Herumspieler mit der Macht verachtete und sich von ihm als Spielzeug behandelt fühlte.


Normalerweise sind Politikverächter natürlich keine Mörder. Dennoch wohnt ihren Attitüden ein auslöschendes, wenn man will: mörderisches, Momentum inne. Meyers Universallexikon von 1905 beschreibt Verachtung als einen Versuch der Demütigung anderer, ohne diese anderen wirklich demütigen zu wollen. Man läßt ihnen gewissermaßen die Freiheit, sich selbst am Riemen zu reißen und aus dem Dickicht demütigender Verstrickungen selbst herauszureißen. Andererseits  macht man ihnen klar, daß es keinerlei Rechtfertigung für ein Verharren im Stand des Verachtetwerdens gibt, weder logische noch moralische.

Verachtungsgesten und -handlungen müssen sorgfältig erwogen und präzise exekutiert werden. Es kommt, wie gesagt, darauf an, dem anderen Verachtung zu bezeugen, ohne ihn in banal-brutaler Weise zu demütigen – eine schwere Kunst, die in der französischen Hochliteratur des 19. Jahrhunderts sogar jeder Romanautor extra vorführen mußte, um vom Publikum voll akzeptiert zu werden: die vollendete Darstellung einer geste de mépris, einer Geste der Verachtung.  Honoré de Balzac und Émile Zola waren die unbestrittenen Meister dieser Kunst.

Es gibt einen Film aus dem Jahr 1963, der die Tradition der geste de mépris mit Vehemenz aufnimmt und sie voll ins Filmische und Medial-Aktuelle übersetzt. Er heißt ausdrücklich „Die Verachtung“, Regisseur ist der legendäre Jean-Luc Godard, das Drehbuch lieferte Alberto Moravia, Brigitte Bardot spielt die weibliche Hauptrolle, und der deutsche Regie-Klassiker Fritz Lang spielt in einer Nebenrolle sich selbst.

Verachtungsobjekt ist der moderne Filmbetrieb à la Hollywood, und sämtliche Protagonisten quellen geradezu über von originellen Verachtungsgesten und Verachtungsreden. Aktuelle Politikverächter können eine ganze Menge daraus lernen, auch wenn der Berliner Politikbetrieb allenfalls noch allerschlechtester Hollywoodbetrieb ist.