© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Eine Führungselite im Banne der Politik
Dieter Kilians profunde Gesamtschau der Generale und Admirale aus sechzig Jahren Bundeswehr
Christian Millotat

Das Buch von Dieter E. Kilian mit seinen 668 Seiten schließt eine Lücke in der Geschichte der Bundeswehr bis heute und ist eine Handreichung für politische, militärische und diplomatische Akteure, die zur Zeit den internationalen Krisenreaktionseinsatz in Afghanistan auswerten und angesichts der krisenhaften Entwicklungen in der Ukraine, im Nahen und Fernen Osten, in Afrika und zur Bewältigung der aktuellen terroristischen Verbrechen Kurs und Struktur der Bundeswehr vor dem Hintergrund von Nato-Forderungen an die Verbündeten und an Deutschland durchdenken und in einem neuen Weißbuch darstellen werden. 

Die Kenntnis der quellenmäßig aktuell und wissenschaftlich einwandfrei belegten Fülle an Informationen in Kilians Buch über die Bundeswehr und ihre handelnden Persönlichkeiten, deren Erfolge, Irrtümer sowie Einfluß in den Stäben und Hauptquartieren der Nato sowie der Europäischen Union hilft beim  Durchdringen der neuen, unerwartet eingetretenen Herausforderungen der multinational immer enger verbundenen Armee bei. Kilians Buch schärft auch das Bewußtsein dafür, bei diesem Prozeß überholte, unter anderen Bedingungen und Motivationslagen enstandene Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. 

Der Autor verzichtet auf ein Vorwort, in dem er die Ziele seiner Arbeit darstellt. Er konfrontiert seine Leserschaft unmittelbar mit seinen Darlegungen und Analysen und überläßt ihnen die Schlußfolgerungen. Die Zahl der behandelten Personen ist überwältigend: Das Wirken, die Erfolge und auch Fehler von 16 Verteidigungsministern, einer Verteidigungsministerin, 15 Generalinspekteuren, 38 Generalen und Admiralen in Deutschland sowie in Nato-Spitzenverwendungen, etwa 50 weiteren Generalen und Admiralen, Staatssekretären, vielen Politikern, Wehrbeauftragten sowie Persönlichkeiten mit militärischem Hintergrund und etwa eintausend weiteren Personen, werden ungeschminkt, oft mit feiner Ironie, aber immer nobel behandelt. All das stellt an sein Lesepublikum hohe Anforderungen und setzt Kenntnisse über die Entwicklung der Bundeswehr sowie ihre Stellung in der Familie der Verbündeten in den Jahren des Kalten Krieges und in den heutigen internationalen Krisenreaktionseinsätzen voraus. 

Kilian beschreibt zunächst in einem prägnanten „Militärpolitischen Kompaß“ historische und aktuelle Felder der Bundeswehr. Am Anfang steht die Darstellung des Ringens um die Verwirklichung des Primats der Politik über die neuen deutschen Streitkräfte. Der Autor  behandelt in der frühen Bundeswehr erfolgte Amtsanmaßungen der zivilen Bürokratie mit Duldung der politischen Führung gegenüber den Soldaten aufgrund ihrer falschen Auffassung von „Civil Control“ und zeigt das „ abgrundtiefe Mißtrauen“ (Helmut Schmidt) vieler Politiker gegen die Bundeswehr während ihrer Aufbaujahre. 

Er stellt die Entwicklung zur heutigen Parlamentsarmee dar, beleuchtet Konflikte, die entstanden, wenn in politisch-strategischen Fragen ungeschulte Politiker und Verteidigungminister auf mit Eliteniveau ausgebildete und berufserfahrene Generale und Admirale prallten und sie häufig in den einstweiligen Ruhestand ohne Angabe von Gründen versetzten. 

Mangelnde Kriegserfahrung führte zu tödlichen Pannen

Er behandelt die parlamentarischen Kontrollorgane und ihr Wirken einschließlich der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages sowie die Entwicklung der Rolle und Position des höchsten deutschen Soldaten, des Generalinspekteurs der Bundeswehr, und seine späte Aufwertung durch den „Dresdner Erlaß“ von 2012 zum unmittelbaren Vorgesetzten aller Soldaten der Bundeswehr und wirklichen Oberbefehlshaber als Mitglied der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung sowie Aspekte seine Funktion als militärischer Berater der Bundesregierung. Seine Abhängigkeit vom Auswärtigen Amt – verantwortlich für die Sicherheitspolitilk – und vom Verteidigungsminister, im Frieden Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt und Verantwortlicher für die Militärpolitik, wertet er kritisch.  

Für die Darstellung des Verhältnisses von politischer Leitung sowie Kontrolle über die Bundeswehr findet der Autor seine Beurteilungsgrundlagen bei Generalmajor Carl von Clausewitz. Als  roter Faden durchzieht seine Analysen dessen Auffassung, daß das Militär der Politik zwar untergeordnet ist, daß die politisch-strategische Ebene die Hauptlineamente über die Verwendung des Militärs bestimmt, jedoch sich nicht in die Truppenführung einmischen soll, wie dies immer wieder geschehen ist und geschieht.

Kilian macht deutlich, daß die Kompaßnadel der Bundeswehr im Verlauf ihrer Geschichte in Deutschland oftmals auf Feldern verweilte, welche die Essenz des Verfassungsauftrags, professionelle Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und einen möglichst engen Schulterschluß mit den Verbündeten zu suchen, überschattet haben. Bedingt durch die Erfahrungen, daß ihre Verteidigungsplanungen im Kalten Krieg in den Stäben und Hauptquartieren der Nato geleistet wurden und hochqualifizierte deutsche Generale und Admirale sowie Generalstabs- und Admiralstabsoffiziere dort eingesetzt worden sind, standen sie am Ende des Kalten Krieges auf Augenhöhe mit den in Europa stationierten Streitkräften der USA. Kilian stellt fest, daß aber im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Bundeswehr kaum noch ein Mitglied des Verteidigungsausschusses über militärischen Sachverstand verfüge. Er führt viele der in den internationalen Krisenreaktionseinsätzen der Bundeswehr aufgetretenen Pannen mit Gefallenen und Verwundeten auf diesen Sachverhalt zurück.

Die Feststellung des Autors, in der Bundeswehr von heute habe eine modische Genderideologie obsiegt, zeigt, daß Soldatinnen in allen Verwendungen der Bundeswehr seit dem Jahre 2001 von vielen ihrer männlichen Kameraden trotz positiver Erfahrungen in den Einsätzen noch immer unterschiedlich bewertet werden.

Kilians Buch verdient ein breites  Leserpublikum. Für die Handelnden in Politik, Militär und Diplomatie, die Medien und für bundeswehrnahe Kreise ist es ein unverzichtbares Werk für das Verständnis über positive und negative Entwicklungen in der Bundeswehr. Es enthält viele Hinweise, wie aufgetretene Spannungen und Pannen in Zukunft vermieden werden können.





Generalmajor a.D. Christian Millotat hat einen Lehrauftrag an der Universität Zürich und ist Bereichsleiter der Clausewitz-Gesellschaft

Dieter E. Kilian: Führungseliten. Generale und Admirale der Bundeswehr 1955–2015.Osning Verlag, Garmisch Partenkirchen 2014, gebunden, 64 Euro

Foto: Generalinspekteur Volker Wieker (l.) mit Generalleutnant Rainer Glatz beim Übergabeappell des Einsatzführungskommandos, Potsdam 2013: Auch wenn die Politik grundsätzlich die Verwendung der Truppe bestimmt, sollte sie sich nicht zu sehr in die Truppenführung einmischen