© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Um Merkel wird’s einsam
Asylpolitik: Der deutsche Alleingang verwirrt nicht nur unsere Nachbarstaaten
Richard Sulík

Als das Time Magazine die deutsche Bundeskanzlerin zur Person des Jahres gewählt hat, habe ich als erstes gedacht, die Jungs haben echten Sinn für Humor. Als ich mir angeschaut habe, wer Zweiter geworden ist (der Chef des Islamischen Staates), hat sich mein Verdacht bestätigt: Die Jungs vom Time Magazine haben wirklich echten Sinn für Humor. Sie müssen sich, und bei weitem nicht nur sie, vor Schadenfreude totlachen über so viel Dummheit.

Deutschland hat da viel weniger zu lachen, besser gesagt gar nichts. Frau Merkel hat im Alleingang dem Land einen dauerhaften Schaden zugefügt. Dieser wird buchstäblich von Tag zu Tag größer und – das ist das eigentliche Problem – irreparabel bleiben. Bis jetzt waren das eher Lappalien, die die politische Karriere der Frau Merkel bedrohten: ein nervender Horst Seehofer, Chaos bei der Erstaufnahme, die (mehr mit sich selbst beschäftigte) AfD und ein paar Abweichler in der eigenen Fraktion. Sogar die Umfragewerte hatten sich stabilisiert. 

Doch dann kam Silvester in Köln, und Anfang des Jahres hat die heile deutsche Welt nicht mehr so heil ausgesehen. Nach anfänglichen Versuchen seitens der Behörden, alles zu vertuschen, kam es noch schlimmer; doch das ist erst der Anfang vom Ende.

Einige Tage danach haben sich mehrere Staatsrechtler zu Wort gemeldet und nicht irgendwelche: Di Fabio, Papier, Scholz, Bertrams – die crème de la crème der deutschen Rechtsprechung hat unisono bestätigt: Frau Merkel verstößt gegen das Grundgesetz. Massiv. Das hat es bisher eher selten gegeben – deutsche Bundeskanzlerin verstößt eigenmächtig und wiederholt gegen das Grundgesetz. Eine „Selbstermächtigung“ (Bertrams), wie es sie zuletzt unter Hitler gegeben habe.

Seitdem wird die Schlinge immer enger. Mal ist es Seehofer, der mit einer Verfassungsklage wedelt, mal die sich wiederholende schlechte Nachricht, daß die Migranten nicht wirklich weniger werden; in den ersten 14 Tagen dieses Jahres sind 51.000 angekommen. Das sind auf das Jahr hochgerechnet 1,3 Millionen. Also die Zahl von 2015 plus einen dicken Bonus von 200.000. Bisherige Mitstreiter beginnen sich zu distanzieren, ob Sigmar Gabriel oder weitere Abgeordnete aus Merkels Fraktion. Dort wird barsch empfohlen, „einfach mal die Klappe zu halten“. 

Die Außenminister aus Österreich und Slowenien, namhafte Kommentatoren, sogar Edmund Stoiber, melden sich auf einmal zu Wort. Niemand mit politischem Gespür will in dieser Phase zu nah bei Angela Merkel sein. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß die Tage ihrer Kanzlerschaft gezählt sind. Wird sie gar „unehrenhaft“ aus dem Amt entlassen, vielleicht mit einem Prozeß am Hals?

Keine Ahnung, wann es soweit ist. Fest steht, daß die Grenze bis März dicht sein muß. Wenn nicht die deutsche, dann irgendeine auf der Balkanroute (Österreich, Slowenien, Kroatien). Danach wird es nämlich wieder warm, und es werden wieder zehntausend Flüchtlinge kommen. Pro Tag. Dann aber ist die Grenzschließung technisch unmöglich, einfach wegen der schieren Menschenmenge. 

Mit Angela Merkel wird diese Schließung wohl kaum gelingen, weil sie sich in eine unhaltbare Position verrannt hat und jetzt dort verharrt. Sie wird keinen Fehler in einer so wichtigen Frage zugeben, weil sie genau weiß, daß das ihren politischen Tod bedeutet. Also wird sie „standhaft“ bleiben, sich von irgendwelchen Organisationen ohne jegliche Verantwortung noch ein bißchen feiern lassen und dem wachsenden Chaos zusehen.

Doch genau da gibt es ein Problem. Die Lösungen, beziehungsweise das, was sie als Lösungen zu verkaufen versucht, funktionieren nämlich nicht. Pflichtquoten? Von zu verteilenden 160.000 Migranten sind weniger als 300 tatsächlich verteilt worden. Rückführungen? Viel zuwenig. Hotspots, Türkei, Bewachung der Außengrenzen, Beruhigung der Lage in Nahost? Nichts von alledem funktioniert so, wie es geplant war. 

Aufrufe zu Solidarität hat es dafür um so mehr gegeben. Und genau in kritischen Situationen zeigt sich überdeutlich: Die EU ist keine Solidar-, sondern eine Vertragsgemeinschaft. Hätte Frau Merkel ein bißchen Latein gelernt – sagen wir mal zwei Sätze: „clara pacta, boni amici“ und „pacta sunt servanda“ –, hätte ganz Europa heute wesentlich weniger Probleme. 

Dabei haben wir zum ersten Mal bereits im April 2015 im Europaparlament über Verteilungsquoten abgestimmt, und das Kanzleramt hatte die Depeschen aus den betroffenen Auslandsvertretungen, die eindringlich vor genau dieser Flut gewarnt haben, Monate früher. Das Kohlsche Aussitzen funktioniert bei wirklichen Problemen eben nicht.

Deutschland wird die Notbremse ziehen und den Grundgesetz-Artikel 16a endlich anwenden müssen. Mit anderen Worten, alle Asylbewerber, die nicht per Flugzeug oder Schiff ankommen, kommen aus einem sicheren Drittland und sind abzuweisen. Österreich wird Stunden später das gleiche machen, Slowenien sowieso, und Kroatien bekommt den Schwarzen Peter. Das Problem wird sich zwar verlagern, aber es wird gleichzeitig ein wichtiges Signal an die Migranten sein: Wir können und wollen (außer den paar hundert Willkommenswinkern vom Münchner Hauptbahnhof) euch nicht aufnehmen. 

Dann wird erst recht und dringend eine Lösung gebraucht, die lautet: erstens Grenzen dichtmachen und zweitens Aufnahmelager außerhalb der EU errichten. Sonst wird der Balkan wieder zum Pulverfaß – so wie vor hundert Jahren.






Richard Sulík ist Abgeordneter der Partei Sloboda a Solidarita (Freiheit und Solidarität) im EU-Parlament.