© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Lauter Offenbarungseide
Christian Dorn

Aus Sicht der Asylbewerber ist die Frage des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz nach dem gerechten Gott keine akademische Angelegenheit. Offenkundig führt sie ihr Weg auch so in „die beste aller möglichen Welten“. Unter der Frage „Zukunft – nur mit Zuwanderung?“ versammelten sich daher vergangene Woche im Haus der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin-Mitte erstmals alle sechs Präsidenten der verschiedenen Leibniz-Wirtschaftsinstitute – zum Auftakt des Leibniz-Jahres. Brisant wurde das Zusammentreffen nicht zuletzt durch den Gast, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), dessen Ausführungen die jüngsten Verlautbarungen der SPD bereits zur Makulatur machen. Denn vor diesem Kreis erklärte Gabriel freimütig, daß europäische Flüchtlingskontingente aufgrund des „Nationalismus“ in den EU-Nachbarstaaten illusorisch seien, und machte nebenbei die Vereinigten Staaten für das Flüchtlingschaos verantwortlich.

Nicht nur dies ließ aufhorchen. Zugleich wurden hier mehrere Offenbarungseide geleistet. Zunächst vom Wirtschaftsminister, der beschied, kein Ökonom zu sein, aber „ein bißchen was von Politik“ zu verstehen, und eingestand: „Glücklicherweise entwickeln sich Gesellschaften anders als wir es prognostizieren.“ Frappierend war auch für die Moderatorin, ARD-Börsenexpertin Anja Kohl, daß der Begriff der „Kosten“ nicht nur beim Politiker Gabriel, sondern auch für die Volkswirtschaftler offenkundig ein „belastetes Wort“ ist. So warnte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, vor diesem Begriff, den er in „Investitionen“ umbenannt wissen möchte. Ihm sekundierte mit Christoph Schmidt der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Wirtschaft der Bundesregierung, der sogenannten Wirtschaftsweisen, der unumwunden erklärte, daß das „doch nicht die Frage“ sei, „wenn es am Ende mehr kostet als es bringt“, und sich gegen eine „Amortisierungsdebatte“ wandte. Reint Gropp vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle lobte indes das „Timing der Flüchtlinge“, die gerade rechtzeitig kämen, um das demographische Problem zu lösen, und forderte daher: „Wir brauchen noch viel mehr Migranten!“ Für die emotionale Begründung zuständig ergänzte Dennis Snower (Institut für Weltwirtschaft), wird dürften die Immigranten nicht als Fremde sehen. Vielmehr sei die Flüchtlingsaufnahme mit der Geburt der eigenen Kinder zu vergleichen.

Einzig Hans-Werner Sinn (Ifo Institut) und sein Nachfolger Clemens Fuest sprachen Klartext. So prognostizierte Sinn langfristig bei einer Millionen Migranten ein Minus von 450 Milliarden Euro. Überhaupt sei es eine „nicht nachvollziehbare Diskussion“: Die Migranten heute seien kein Gewinn für den Sozialstaat, seien es schon früher nicht gewesen; außerdem drückten sie das Lohnniveau. Auch Fuest belehrte Gabriel: Die Flüchtlinge würden „nicht die Leute sein, die unsere Rente bezahlen“. Auch gehöre es „zu der fundamentalen Aufgabe eines Landes, seine Grenzen zu schließen“. Erst so werde der Zustrom gestoppt.