© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Spärliche Einlassungen
Münchner NSU-Prozeß: Die Aussage des Mitangeklagten Ralf Wohlleben bleibt in entscheidenden Punkten unscharf
Hinrich Rohbohm

Stets nach vorn gebeugt und mit wachem Blick fixiert der dunkelhaarige Mann mit Kurzhaarschnitt und strammem Seitenscheitel die Richter. Konzentriert und ausführlich geht Ralf Wohlleben auf die Fragen des Vorsitzenden Richters im Münchner NSU-Prozeß, Manfred Götzl, ein, fügt gelegentlich sogar weitere Ergänzungen an. Jedoch ist der in Jena geborene ehemalige Fachinformatiker stets darauf bedacht, seine Einlassungen auf das zu konzentrieren, was ohnehin unstrittig ist. Zu Fragenkomplexen bezüglich Herkunft und Beschaffung von Waffen für das NSU-Trio hingegen gibt er sich unwissend, unbeteiligt oder verweist auf Erinnerungslücken. Laut Bundesanwaltschaft soll er jedoch die zentrale Figur des NSU-Unterstützerkreises gewesen sein, die dem Trio unter anderem Schußwaffe und Munition besorgt haben soll.

Unter den Rechtsextremisten Thüringens zählte Wohlleben lange zu den führenden Größen. Nachdem Beate Zschäpe angekündigt hatte, auszusagen, war plötzlich auch Wohlleben dazu bereit. Bisher sind beide darauf bedacht, sich nicht gegenseitig zu belasten. Während Zschäpe ihre Aussage von ihrem Anwalt verlesen ließ, spricht Wohlleben selbst. Davon, wie er 1992/93 nur aus Zufall zur NPD gekommen sei. „Da taucht dann plötzlich ein VW-Bus in Tarnfarben auf, und dann steigen da Leute aus und bauen einen Infostand auf“, beschreibt er seine erste Erfahrung mit der rechtsextremen Partei. „Mich hat das bei denen halt begeistert, wie diszipliniert da alles ablief. Das war das, was ich aus der DDR noch kannte, mir gefiel das.“ Wohlleben erzählt von seinen Freunden aus DDR-Zeiten, die auch nach der Wende links waren und sagten, daß jeder, der eine „BRD-Fahne“ schwenke, ein Faschist sei.

In der Wendezeit lernte er 

André Kapke (JF 49/11) kennen. „Kapke hatte ein gewisses Talent dafür, Leute herumzuschicken“, beschreibt er den mehrfach vorbestraften NPD-Mann, der eine führende Rolle in der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Nationaler Widerstand Jena“ einnahm. Über Kapke habe er Kontakt zu Tino Brandt bekommen. „Der ist immer durch den Raum gefegt und von Tisch zu Tisch gehüpft“, erinnert sich Wohlleben. Brandt sei es auch gewesen, der auf ihn zugekommen sei und ihn gefragt habe, ob er NPD-Pressesprecher werden wolle.

In der Kameradschaft will Wohlleben hingegen nur „einfaches Mitglied“ gewesen sein. Daß Brandt für den Verfassungsschutz arbeite, hätten sich Kameraden zwar immer wieder mal zugeraunt. Aber: „V-Mann-Gerüchte sind im rechten Lager keine Seltenheit.“  Die Gerüchte über Brandt habe er nicht ernst genommen. „Ich konnte mir das bei ihm am wenigsten vorstellen.“ „Bis zum Schluß“ habe er das nicht glauben können. „Nachdem aber klar war, daß Brandt V-Mann war, habe ich keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Ich hab den Verrat gesehen, das war für mich nicht akzeptabel und damit hat mich der Kontakt zu ihm auch nicht mehr interessiert“, sagte er vor Gericht. „Brandt war ja schon jemand, der besonders engagiert war. Warum sollte der Verfassungsschutz so etwas fördern? Das würde ja einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme  gleichkommen“, meint Wohlleben.

Ziel in der Szene sei es stets gewesen, die Kultur des Volkes zu erhalten. „Bei all unseren Betrachtungen stand das Volk im Vordergrund. Wir bekennen uns zu unserer Geschichte und wenden uns von keinem Punkt davon ab.“ Richter Götzl will das genauer wissen, fragt, wie Wohlleben das meine.

„Die Aufarbeitung der zwölfjährigen Nazi-Diktatur verläuft relativ einseitig“, entgegnet der Angeklagte. „Daß man immer nur danach fragt, wo deutsche Kriegsschuld liegt, aber nicht was Briten, Franzosen, Amerikaner und Polen an Schuld tragen.“ Die Sowjetunion erwähnt er nicht.

Sehr genau kann sich Wohlleben an seine Kontakte zum Mitangeklagten Holger G. erinnern, den er als einen „Zappelphilipp“ beschreibt und mit dem er Mitte der neunziger Jahre durch die Spielhallen gezogen sei. „Das hatte schon pathologische Züge, es war krankhaft.“

Uwe Böhnhardt hingegen sei ein „Waffennarr“ gewesen. Wohlleben sagt, er selbst habe „überhaupt kein Interesse“ an Waffen. „Wenn Holger und ich in einen Spielladen gingen, ging Böhnhardt  in einen Waffenladen. Der ist schon in Militärhosen rumgelaufen, als ich ihn kennengelernt hatte.“ Unter anderem habe sich Böhnhardt eine Co2-Pistole und ein Messer besorgt. „Scharfe Waffen“ habe er hingegen nicht bemerkt. „Die Leute haben irgendwann angefangen, Paintball-Waffen zu kaufen“, berichtete Wohlleben. Er selbst habe jedoch keine Waffen gehabt. „Es sei denn, sie rechnen das Luftgewehr meines Opas dazu.“

Beate Zschäpe beschreibt er als Person, die offen und direkt sei. „Wenn sie mich nicht gemocht hätte, dann hätte dir mir das gesagt. Man hätte zu ihr nicht einfach sagen können du bist ne blöde Kuh und das sie sich dann umdreht und geht, sie hätte was entgegnet.“ Daß eine Garage angemietet worden sei, daran könne er sich erinnern. Wer sie anmietete hingegen nicht. Daß will er erst später bei einer Hausdurchsuchung erfahren haben. TNT-Sprengstoff sei nur in „ganz geringen Mengen“ dort gelagert worden und „nur zur Provokation“ gedacht gewesen.

Zu konkreten Fragen, etwa der Finanzierung des Trios, verweist Wohlleben allerdings auf Erinnerungslücken oder Unwissenheit. Geldfragen hätten ihn nicht interessiert, er habe sich darum auch nicht gekümmert. Aussagen, die offenbar auch die Bundesanwaltschaft nicht sonderlich ernst nimmt. Angesichts der spärlichen Einlassungen Wohllebens zur Waffenbeschaffung und finanziellen Unterstützung des Trios verzichtete sie auf eine Befragung des Angeklagten.