© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Ein politischer Schlag ins Kontor
Grüne Woche: Allein vom Verkauf von Milch, Fleisch oder Getreide können die meisten deutschen Bauern nicht mehr leben
Ronald Gläser

Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sind an einem Fischstand angelangt. Die beiden Besucher der Grünen Woche in Berlin lassen sich Hochseefische zeigen. Matthias Keller präsentiert den beiden prominenten Politikern einen Seeteufel mit nach innen gerichteten Zähnen. „Das würde auch vielen Politikern gefallen: Wer da einmal gefangen ist, kommt nie wieder raus“, sagt er. Schmidt versucht vom Thema abzulenken, zeigt auf einen Hering und sagt mit bayerisch-rustikaler Stimme: „Aber der wichtigste ist der Hering.“

Der Minister kennt die Zahlen. Er hat recht. Der Hering ist nach wie vor der wichtigste Fang der deutschen Fischereiwirtschaft. 53.402 Tonnen wurden 2014 gefangen. Und damit mehr als Makrelen, Sprotten oder Kabeljau. Mehr als die Hälfte davon wird im Ausland angelandet. Beim Hering ist es besonders viel (72 Prozent).

Brathendl, Gummibären und Bier verkaufen sich gut 

Damit liegt die Fischerei im Trend. Die deutsche Lebensmittelbranche hat 2014 für 68 Milliarden Euro Produkte exportiert. Zu den größten Verkaufsschlagern gehören Fleischerzeugnisse, Milchprodukte wie Käse, Süßwaren und Getränke. Die gesamte Branche trägt mit 163 Milliarden Euro oder knapp sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.

Doch die guten Zahlen können nicht verdecken, daß eine besonders wichtige Berufsgruppe, die mit der Produktion von Lebensmitteln beschäftigt ist, in den letzten Jahren mächtig ins Hintertreffen geraten ist: die Bauern. Die Preise für Fleisch, Milch und Getreide sind deutlich gesunken. Die Rußlandsanktionen  und Gegenreaktionen taten ihr übriges.

Diese seien ein „Hauptgrund für den Umsatzrückgang“, klagte Bauernpräsident Joachim Rukwied bei der Eröffnung der Grünen Woche. Im Durchschnitt sanken die Einnahmen der Bauern im zurückliegenden Wirtschaftsjahr um 35 Prozent. Ein Schlag ins Kontor. Vier Prozent der deutschen Milchvieh- und Schweinehalter haben aufgeben müssen. 7.800 Bauern, vor allem Milcherzeuger, mußten 2015 Beihilfen der Bundesregierung beantragen. Voraussetzung dafür war ein Umsatzrückgang um mindestens 19 Prozent.

Auch für 2016 fürchtet der CDU-Politiker Rukwied einen weiteren Rückgang. Die deutschen Bauern wissen, daß sie sich um neue Einnahmequellen bemühen müssen. Allein vom Verkauf von Milch, Fleisch oder Getreide können sie nicht mehr leben. 

Die gesunkenen Preise sind natürlich auch Ausdruck ihres Erfolges. Denn: Die jahrzehntelange Produktivitätssteigerung hat das Angebot enorm ausgeweitet. 1950 gab es noch 1,6 Millionen deutsche Bauernhöfe. Heute sind es nur noch 300.000. Aber sie produzieren bei deutlich niedrigerem Arbeitskräfteeinsatz dreimal soviel Milch pro Kuh und dreimal soviel Weizen.

Auf der anderen Seite steht die steigende Skepsis der Kunden, denen diese Produktivitätssteigerungen nicht geheuer sind. Sie fragen sich, ob es mit rechten Dingen zugeht, wenn ein Suppenhuhn für 1,99 Euro im Tiefkühlfach liegt. Auch Minister Schmidt betont, wie sehr ihm das Tierwohl am Herzen liege. Er drängt bei den TTIP-Verhandlungen auf Tierwohl-Standards und läßt ein staatliches Fleisch-Label vorbereiten.

Die Bauern lehnen ein solches zusätzliches staatliches Kontrollinstrument ab. Doch mit den Verbraucherzentralen liegt der Minister auf einer Linie. Sie forderten ein „verbindliches nationales Tierschutzlabel“. Sie argumentieren, daß die Deutschen zwar mehr bezahlen möchten, aber nicht können. 64 der Befragten hatten in einer Umfrage angegeben, mehr Geld für Fleisch ausgeben zu wollen, wenn dies dem Tierwohl diene. Sie konnten aber in den meisten Fällen kein entsprechendes Label nennen.

Wer macht uns wirklich satt?

Der harten Bio-Fraktion hingegen gehen diese Vorschläge nicht weit genug. Am Wochenende kamen auch wieder anläßlich der Grünen Woche die Landwirtschaftsgegner in Berlin zusammen. „Wir haben es satt“, lautet seit Jahren das Motto einer öko-grünen Demonstration, die sich gegen die von ihnen als Agrarindustrie bezeichnete konventionelle Landwirtschaft richtet. Sie kritisieren unter anderem die Tierhaltung, die Übersäuerung der Böden und den Einsatz von Pestiziden.

Die Zahl der Demonstranten war mit 13.500 in diesem Jahr deutlich niedriger als im Vorjahr. Und in diesem Jahr gab es erstmals auch eine Gegendemonstration von Bauern unter dem Motto „Wir machen euch satt“. Die Landwirte wollen in einen Dialog mit ihren Kritikern treten.

Trotz des gesunkenen Interesses setzen sich einzelne Ideen der Tierwohlbefürworter durch. Im Land Brandenburg hat gerade ein Volksbegehren gegen Massentierhaltung einen Achtungserfolg errungen: Mit 103.891 gültigen Unterschriften erreichten sie, daß der Landtag sich mit ihrer Forderung beschäftigt, riesigen Mastanlagen für Schweine und Geflügel keine Subventionen mehr zu zahlen.

Die Grüne Woche geht bis Sonntag, Tageskarte 14 Euro. Öffnungszeit 10-18 Uhr. www.grünewoche.de