© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Im Schatten einer weiteren Risikotechnologie
„Energiewende“: Eine Studie über Geothermie plädiert für deren politische Neubetrachtung
Christoph Keller

Wer das Wort Geothermie hört, denkt vermutlich an nichts Böses, da es zu Assoziationen mit warmen Quellen und ihren heilenden Wirkungen einlädt. Eine Verknüpfung, die zumindest in die richtige Richtung führt, denn auch bei der Geothermie geht es darum, sich Erdwärme nutzbar zu machen. Allerdings nicht um der Gesundheit, sondern um der Energiegewinnung willen.

Welche Bedeutung die bundesdeutsche Politik der Geothermie beimißt, geht aus Prognosen des Umweltbundesamtes (UBA) ebenso hervor wie aus optimistischen Berechnungen von Greenpeace. Demnach sollen hierzulande bis zur Jahrhundertmitte 2.120 Geothermiekraftwerke in Betrieb sein, die etwa zehn Prozent des deutschen Energiebedarfs erzeugen könnten. Derzeit laufen ganze vier Anlagen mit nennenswerter Stromproduktion. Es müßte in gut 30 Jahren also eine phantastische Steigerung um den Faktor 500 erfolgen, bevor sich die Computermodelle des UBA in energiepolitische Realität verwandeln.

Große Anlagen in  industriellem Ausmaß

Aber das ist nicht die eigentlich neue Nachricht, die Conrad Kunze (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig) und Mareen Hertel (Universität Halle) in ihrer Geothermie-Studie (Gaia, 3/15) parat haben. Bedeutsamer ist ihre Einstufung der Geothermie als Risikotechnologie, die nun keinerlei Verwechslung mehr mit harmlosen Thermalquellen erlaubt. Schon deshalb nicht, weil es sich um große Anlagen im industriellen Ausmaß handelt. Dabei sind drei Typen zu unterscheiden: die tiefe oder oberflächennahe hydrothermale, die petrothermale sowie die wegen ihrer niedrigen Produktionsleistung eher marginale Geothermie mittels Erdwärme­sonden.

Da die derzeit von 316.000 Haushalten genutzte oberflächennahe Erdwärme, von kleinen Wärmepumpen erschlossen, in den Energieszenarien sowenig Relevanz zukommt wie den Erdwärmesonden, berücksichtigen Kunze und Hertel bei ihrer Expertise lediglich die tiefe Geothermie und die Petrothermie.

Bei beiden Verfahren stoßen die Bohrungen bis zu 5.000 Meter ins Erdinnere vor. Bei der Geothermie werden zwei millionenteure Löcher gebohrt. In das eine pumpt man Wasser, das sich in der Tiefe erhitzt, um es durch das andere Bohrloch wieder zu tage zu fördern und in ein Fernwärmenetz einzuspeisen oder eine Turbine zur Stromerzeugung anzutreiben. Wirtschaftlich arbeiten nach diesem Prinzip aktuell nur die Anlagen von Bruchsal, Unterhaching, Simbach-Braunau und Insheim. Weitere 24 Anlagen sind in Betrieb, liefern aber noch keine nennenswerten Strommengen. Sechs sind im Bau, 22 in der Planung. Das petrothermale Verfahren beruht auf der in der Öl- und Gasindustrie angewendeten Fracking-Technik, die entweder in wasserführenden Erdschichten Gesteinsrisse erzeugt, um durch sie heißes Wasser aus der Tiefe zu pressen oder Oberflächenwasser in den Boden drückt, um einen ähnlichen Effekt zu erzielen. Da diese Technologie noch nicht ausgereift ist, läuft bisher nur eine Anlage im brandenburgischen Groß-Schönebeck. Vier sind in Planung, drei Vorhaben wurden abgebrochen.

Obwohl einige Tiefengeothermie-Anlagen auf dem Gebiet der damaligen DDR seit 1984, auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik seit 1998 in Betrieb sind, nahm die Öffentlichkeit sie nicht als riskante Technologie wahr. Erst 2009, nach einem leichten Erdbeben in Basel, ausgelöst durch eine petrothermische Bohrung, änderte sich die Lage. Zumal damals die Erinnerung an eine andere Panne mit flacher Geothermie wieder erwachte, als im Dezember 2007 Bohrungen in Staufen im Breisgau zu Erdrutschen führten. 2009 mußte die Geothermie-Branche ohnehin als annus horribilis verbuchen: Erdbeben in Taufkirchen, Unterhaching und Landau sowie eine Wasserfontäne in Wiesbaden ließen Bürgerinitiativen wie Pilze aus dem Boden schießen. 2013, als in Insheim und St. Gallen neue Beben registriert wurden, versteifte sich der Widerstand.

Höchster Subventionssatz  an Grundvergütung

Derzeit stehen 18 lokale Protestgruppen 56 laufenden, geplanten oder sich im Bau befindlichen Anlagen der Tiefengeothermie gegenüber. „Wachsender Widerstand im ländlichen Raum“ machen Kunze und Hertel daher aus, also gerade in den Regionen, mit denen das UBA kalkuliert, wenn es jenseits ökologischer Flächen- und raumordnerischer Planungsrestriktionen noch von fast 40 Prozent freier ländlicher Fläche zur Etablierung der für 2050 avisierten 2.120 Anlagen ausgeht.

Angesichts der rapide abnehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz, die jetzt schon geringer ist als jene gegenüber Windkraftanlagen, ist dies für Kunze und Hertel eine reichlich unrealistische Erwartung. Hinzu komme, daß das Schadenspotential von Erdbeben, Trink- und Grundwassergefährdung höher einzuschätzen sei als etwa die Landschaftsverschandlung durch Windräder. Und das Schadensrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches wie des Bundesberggesetzes ermuntere weder Kommunen noch private Hausbesitzer, Risiken auf sich zu nehmen. Im Ernstfall trügen nämlich die Geschädigten die Beweislast für den Zusammenhang zwischen Bohrung, Beben und beschädigtem Haus. Eine Lösung böte ein reformiertes Bergrecht mit strengeren Haftungsregelungen für die Betreiber. Aber dagegen spreche die Wirtschaftlichkeit.

Ein Problem, das sich auch mit einer Versicherung gegen Folgeschäden nicht beheben lasse, da eine derartige „Internalisierung des Risikos“ hohe Aufwendungen erzwinge, die keinesfalls durch noch höhere Einspeisetarife nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) oder andere staatliche Zuschüsse zu kompensieren wären. Denn bereits jetzt ist die Tiefengeothermie mit dem höchsten Satz im EEG, 25,2 Cent Subvention je Kilowattstunde, weit von der Marktparität entfernt, da etwa Windstrom mit nur 4,95 Cent als Grundvergütung zu Buche schlage.

Geothermie sei zwar eine Energieform, die ohne Unterbrechung Tag für Tag und Jahr für Jahr ins Stromnetz eingespeist werden könne. Doch diesem Vorteil stünden so viele Nachteile einer Risikotechnologie gegenüber, daß Kunze und Hertel dafür plädieren, die Frage nach ihrer Bedeutung für die Energiewende nunmehr lieber doch noch einmal „neu zu verhandeln“.