© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Der Flaneur
Sale, WSV, Ausverkauf
Paul Leonhard

In den Geschäften ist Schlußverkauf. Überall hängt aggressive Werbung. Die ersten Stücke der neuen Kollektionen sind schon eingetroffen. Platz muß geschaffen werden. „Sale, sale, sale“ schreit es von den Schaufenstern. Und die in ihnen präsentierenden Puppen tragen nicht nur die Mode der auslaufenden Saison, sondern teilweise auch gelbe und rote T-Shirts mit diesem so wichtigen Sig­nalwort „Winterschlußverkauf“.

Die Schaufensterpuppen sind nicht mehr einfach beige oder gar weiß, sondern meist goldfarben, silbern oder schwarz. Und viele haben gar keine richtigen Gesichter mehr. Sie sind ganz offensichtlich geschlechtsneutral, egal ob sie Mode für Damen oder Herren tragen. Die Genderisierung hat den Handel erreicht.

„Ja, lies doch, auf alles Reduzierte bekommst du an der Kasse noch einmal 30 Prozent.“

Eine Modekette wirbt mit dem Slogan „Deutschlands billigste Tage“ und verspricht auf knallroten Aufklebern „Extrem reduziert“. Neugierig drehe ich an einem Ständer, ziehe eine Jacke heraus: Das „extrem“ stellt sich als Preisnachlaß von fünf Euro heraus. Extrem, extrem. Irgendwie komme ich mir veralbert vor. Ich schaue mir noch zwei, drei andere Angebote an. Das Ergebnis ist das gleiche. Hier werde ich aus Prinzip nicht einkaufen.

Problematisch scheint der brüchige Winter auch für die Textilangebote der Lebensmitteldiscounter zu sein. Ich wühle und finde tatsächlich Schnäppchen für den vielleicht nächsten Winter.

Im zweistöckigen Geschäft eines anderen Anbieters höre ich, wie sich drei Frauen über die Schlußverkaufspreise austauschen. „Ja, lies doch selbst, auf alles als reduziert Deklarierte bekommst du an der Kasse noch einmal 30 Prozent abgezogen“, schwärmt die eine. Die andere greift bereits nach einem Kleid. Nur die dritte hat die Stirn in Falten gezogen. Sie rechnet. Doch das Ergebnis ihres Kopfrechnens scheint sie nicht zu überzeugen. Sie holt das Handy heraus und probiert es mit dem Kalkulator. Dann schüttelt sie den Kopf: „Das ist ja immer noch teuer.“