© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Grüße aus Paris
In einer anderen Welt
Albrecht Rothacher

Lange genug habe ich meine Wochenenden im schicken Quartier Latin, dem einstigen Intellektuellenviertel, verbracht. Doch Saint-Denis lockte, eine der übelsten Arbeitervorstädte von Paris. Ende November wurden hier die logistische Zentrale und der örtliche Rädelsführer der Terroranschläge, die sich hier ohne Aufsehen zu erregen formlos hatten einmieten können, ausgehoben und nach einem Feuergefecht unschädlich gemacht.

Als unrasierter Sozialrentner verkleidet, lande ich nach 30 Minuten Metro in einer anderen Welt.  Hauptattraktion ist jedoch nicht der Armutstourismus, sondern die  Kathedrale von Saint-Denis, die erste gotische Großkirche Europas, in der fast alle französischen Könige bestattet sind. Die Abteikirche ist trotz aller Verwüstungen der Revolution und einer dilettantischen Restauration im 19. Jahrhundert immer noch außerordentlich eindrucksvoll und muß sich sicherlich nicht vor Notre-Dame, an der sich die Touristen drängeln, verstecken.

Alkoholfreie Cafés, Straßenhändler und Kebab-Buden. Französisch spricht kaum jemand.

Dicht daneben befindet sich die kommunistische Bürgermeisterei, denn Saint-Denis wird seit Menschengedenken als die letzte Großstadt Frankreichs von der KPF beherrscht. Ihre Klientel sind jedoch nicht länger die Industriearbeiter, sondern die Einwanderer, denen städtische Subventionen und öffentliche Jobs zugeschoben werden. 

Das nahe Verwaltungsviertel hat das Aussehen und den Charme der Plattenbauten von Eisenhüttenstadt. Die Haupteinkaufsstraße ist von Schmutz und Müll übersät. Kebab-Buden, Textilshops aus zweiter Hand, Billigschmuckläden, afrikanische Friseure (unglaublich viele Perücken werden angeboten), Wettbüros, Wechsel- und Überweisungsstuben, rauchgeschwängerte alkoholfreie Cafés, Straßenhändler, zugenagelte und ausgebrannte Gebäude prägen das Bild. Französisch spricht so gut wie niemand. 

Wären ihre Gräber 1793 nicht von den Revoluzzern geschändet, geplündert und geleert worden, würden sich die 42 Könige in ihren Sarkophagen sicherlich umdrehen, würden sie sehen, was ihre republikanischen Nachfolger in nur knapp vier Jahrzehnten angerichtet haben.

Doch recht erleichtert kehre ich unbeschadet vor Einbruch der Dunkelheit in meine angestammten Jagdgründe zurück, wo ich im Café de Flore, dem Stammlokal von Jean-Paul Sartre, Jean Cocteau und Karl Lagerfeld, diese Zeilen bei einem Bier zu Papier bringe.