© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Hektische Diplomatie in Rom
Brandherd Libyen: Italiens schwieriger Balanceakt bei der Stabilisierung des Nachbarstaates
Paola Bernardi

Hektische Diplomatie in Rom, Washington, Tunis und Tobruk. Die Probleme sind vielschichtig. Seit vier Jahren herrscht Bürgerkrieg in Libyen, und beide Konfliktparteien – die international anerkannte Regierung in Tobruk und die von islamistischen Kräften geführte Gegenregierung in Tripolis – können sich nicht einigen, trotz intensiver internationaler Beratung. 

Zu viele Regionalmächte wollen von diesem Land profitieren mit seinen reichen Erdöl- und Gasvorkommen: So unterstützen Katar und die Türkei das Regime in Tripolis; der Westen, Ägypten und die Arabischen Emirate stehen indessen Tobruk nahe. Doch nur eine geschlossene nationale libysche Regierung könnte dem Land die notwendige politische Stabilität geben und den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen, so der EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. Im Gegenzug versprechen sowohl die USA als auch Italien humanitäre und wirtschaftliche Hilfe für das Land. Während sich die wohlhabende Oberschicht der Libyer nach dem Sturz von Gaddafi seinerzeit ins nahe gelegene Tunesien absetzen konnte, harrte die Mittel- und Unterschicht im Lande aus. Das könnte sich jetzt ändern.

Denn in dieses Machtvakuum ist die Terrormiliz IS vorgestoßen, hat sich die Hafenstadt Sirte zum neuen Rückzugsquartier erkoren, nachdem sie in Syrien aufgrund des internationalen militärischen Einsatzes an Terrain verliert. Hier herrschen die Gesetze der Scharia, und wer kann, der flieht vor der Terrormiliz. Die Abwesenheit staatlicher Strukturen machte das Land bisher zum idealen Schlepperparadies für Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, vor allem aus Somalia und den Staaten der Sahelzone.

Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Italien fühlt sich durch den Staatszerfall Libyens massiv bedroht. Sizilien ist nur 500 Kilometer von der libyschen Küste entfernt. Theoretisch befindet sich das Land somit in Reichweite jeder abgefeuerten Scud-Rakete. Doch auch die angrenzenden Staaten – Tunesien und Algerien – beobachten die Ausbreitung des IS mit Sorge. In Italien geht die Angst um, und die Friedensbemühungen gehen viel zu langsam. 

Bereits am 17. Dezember wurde unter Führung der Vereinten Nationen in Marokko das Abkommen für eine libysche Einheitsregierung unterzeichnet. Am 19. Januar 2016 übernahm der parteiunabhängige Geschäftsmann Fayez el-Sarraj  die Führung über die neue „Regierung der nationalen Einheit“. Am 29. Januar sollte die Regierung der nationalen Einheit gewählt werden, doch das akribisch aus einer Vielzahl von Stammes- und Milizführern zusammengesetzte Parlament stimmte dagegen. Ein herber Rückschlag für die UN. 

„Die Vernichtung des IS in Libyen hat absoluten Vorrang“, wiederholt auf der anderen Seite gebetsmühlenartig der italienische Außenminister Paolo Gentiloni. Gemeinsam mit dem deutschen UN-Sondervermittler Martin Kobler und der EU-Beauftragten Federica Mogherini wurde eine militärische Allianz zur Stabilisierung Libyens geschmiedet. 

Rom und Washington liebäugeln mit Kampfeinsatz

US-Vizepräsident Joe Biden traf sich in der Türkei mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um eine militärische Option gegen den IS in Libyen zu erörten. Parallel dazu berate Rom derzeit intensiv mit möglichen Alliierten in Paris, London, Berlin und Moskau, erklärte ein europäischer Militärexperte gegenüber der österreichischen Presse. Rom hoffe, grünes Licht des UN-Sicherheitsrates zu erhalten. Auch Deutschland ist bereit, bis zu 200 Ausbilder zu schicken, um libysche Streitkräfte auszubilden. Aus Sicherheitsgründen allerdings soll die Mission im Nachbarland Tunesien durchgeführt werden. Der militärische Einsatz soll von dem italienischen General Paolo Serra befehligt werden. Schon werden die Drohvideos des IS gegen Italien immer massiver. „Italien hat Tripolis besetzt, das wird es büßen müssen“, heißt es darin. Und dem italienischen General wird ein grausames Ende prophezeit.

 Vor dem Hintergrund eines möglichen militärischen Einsatzes läßt Rom  die von der EU angemahnte Einrichtung  von sieben „Hotspots“, in denen Flüchtlinge registriert werden sollen, schleifen. Erst drei sind realisiert.

Foto: IS-Propagandafoto vor den Öltanks von Sirte: Noch sieht die Internationale Gemeinschaft sprachlos zu