© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn


Im Westen nichts Neues – die „Stachelschweine“ im Eu-ropa-Center, Berlins legendäres Nachkriegskabarett, präsentieren politisch korrekte Sichtweisen. Das aktuelle Stück „Globale Betäubung“ der Regisseurin Tatjana Rese, ein gesellschaftskritisches Nummernprogramm, an dem neun Autoren mitgewirkt haben, läßt bei mir Fluchtgedanken aufkommen. Vor Vorstellungsbeginn arrangiere ich mich bei der Platzwahl mit den drei Damen vor mir, von denen eine sehr groß ist. Auf mein – zugleich politisches – Bekenntnis „Da geh ich doch gleich nach rechts“, erwidert die Angesprochene: „Damit hab ich kein Problem.“


Auffällig im Kabarett der einstigen Frontstadt: Am Ende kommen die Touristen. Bei den Stachelschweinen, die im Kellergeschoß spielen, sind es augenscheinlich nur Berlin-Besucher, so wie das Paar hinter mir aus Dresden, das einigermaßen enttäuscht wirkt. Wird hier doch wieder über Pegida und AfD gelästert mit gähnend langweiligen Kalauern, etwa bei der Bühnenfigur „Frau Dr. Petry-Heil“, die in ihrer deutschnationalen Gesinnung kein Profil auf der Facebook-Seite, sondern auf der „Gesichtsbuchseite“ pflegt. Absurd auch die Szene mit dem syrischen Internisten aus Aleppo und seiner Frau, einer Anästhesieschwester, die in Deutschland gezwungen werden, als Putzkräfte im Krankenhaus zu arbeiten, dort aber die fachlich überforderten deutschen Assistenzärzte instruieren.


Doch wo manche Szene einen schweren Schatten hat, ist auch Licht. So im gelungenen Sketch zum Tourette-Syndrom eines SPD-Politikers („Gewerkschaften, Gewerkschaften, pfui“) oder bei der Gruppentherapiesitzung der Verschwörungstheoretiker mit den Patienten „Herrn Jelsässer“ und dem „Obersturmbannsänger Xavier Naidoo“. Trefflich ist auch die Vorführung des verlogenen linken Bürgertums, das bei der „Agentur Flüchtlingsship“ vorstellig wird, um sich, analog zu „Parship“, einen Flüchtling in ihre Privatunterkunft vermitteln zu lassen, als bestünde zwischen Haustier und Haussklave kein Unterschied. Die „Win-Win-Situation“ zeigt sich bei den Arbeitsämtern, die „Flüchtlinge als Inventerbedarf“ anerkennen, der steuerlich absetzbar ist. Trefflich erscheint auch die Tirade des Steuerzahlers, der wegen einiger Tage verspäteter Zahlung an das Finanzamt eine Strafgebühr zahlen soll, als dieser die Mehrkosten der verzögerten Großprojekte (BER, Hamburger Philharmonie, Stuttgart 21) minutiös vorrechnet und dem Finanzamt eine exakt berechnete Zahlungsaufforderung zusendet.