© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Schwänzchen ab oder dran?
Auf das Kürzen der Ringelschwänze von Mastschweinen soll ab sofort verzichtet werden / Mit Patentrezepten ist es schwierig
Bernd Rademacher

Theoretisch ist das Kupieren der Ringelschwänze bei Saugferkeln nach EU-Tierschutzrecht verboten und nur in einzelnen Ausnahmefällen erlaubt. Doch die Gesetzgeber haben sich wenig Gedanken über die Praxis gemacht. Mangels Alternativen wird das Ferkelkupieren daher weiter überwiegend geduldet. 2016 soll das Verbot nun flächendeckend umgesetzt werden. Viele Landwirte sind ratlos.

In den ersten vier Lebenswochen der Mastferkel ist das Kürzen der Ringelschwänze auf circa ein Drittel ohne Betäubung Standard in der Landwirtschaft. Das geschieht nicht zum Spaß, sondern um das weitverbreitete Schwanzbeißen unter Artgenossen zu verhindern. Was mit einem Saugen oder Knabbern beginnt, endet sonst mit schmerzhaften Verletzungen und Entzündungen. Die Bauern behelfen sich mit dem Beschneiden der Ferkelschwänze. In den staatlichen Betrieben der DDR wurde der Ringelschwanz gleich komplett entfernt.

Ab der zweiten Stallwoche kommt es zu Bissen

Die Ursache für das Kannibalismus-Phänomen bleibt unscharf. Sicher ist nur, daß sie vielfältig ist. Daher experimentieren Landwirte bei Langschwanz-Ferkeln mit mehreren Maßnahmen: Da Schweine Allesfresser sind, aber modernes Schweinefutter kein tierisches Eiweiß enthält, gibt es Ergänzungspräparate aus Blutplasma. Zudem wurde Ferkeln Rohfaserfutter und Heu aus Schwenkkörben angeboten. Sehr gut nehmen die Tiere Beschäftigungsspielzeug wie Seile oder andere Kau-Objekte an. Das berichten landwirtschaftliche Versuchszentren. Auch über offene Wassertränken freuten sich die Schweine, sogar ohne eine „Schweinerei“ zu hinterlassen. Einzelne Züchter machten positive Erfahrungen mit individuellen Stallumbauten, wie einer zweiten Ebene, die die neugierigen Tiere mittels rutschsicherer Rampen erkunden können.

Bei den Tests ließ sich zwar in den einzelnen Versuchsgruppen eine Verbesserung der Situation feststellen, doch gänzlich kontrollierbar ist das Beißgeschehen nicht. So nahmen die Vorfälle insgesamt ab, doch auch trotz der Maßnahmen kommt es ab etwa der zweiten Woche nach Einstallung zu Bißspuren und Schwellungen. Am Ende der Ferkelaufzucht wies ein Drittel der Versuchsschweine Verletzungen auf. In der weiteren Mast nehmen die Beißereien wieder ab, und die Wunden heilen. Ein erfolgreiches Ringelschwanz-Management erfordert individuelle Beobachtung. Patentrezepte gibt es nicht. Dafür brauchen die Bauern professionelle Beratung – das Honorar dürfen sie natürlich selbst bezahlen.

Im Zentrum der Ursachenforschung steht auch die Besatzdichte in den Ferkelställen, doch die wird sich aus ökonomischen Gründen kaum senken lassen, da der Preisdruck von Verbrauchern und Handel keinen Spielraum zuläßt.

Übrigens ist die konventionelle Haltung in eher reizarmer Umgebung zumindest keine primäre Ursache – Schwanzbeißen kommt ebenso bei „Öko-Schweinen“ auf dem Bio-Bauernhof vor.