© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Doppeltes Mißgeschick
AfD: Nach der „Schießbefehl“-Debatte fürchtet die Partei negative Auswirkungen auf die Landtagswahlkämpfe
Marcus Schmidt

Ein Wort war Anfang der Woche in der AfD besonders häufig zu hören: „Katastrophe“. Noch nie in der jungen Geschichte der Partei, die an diesem Freitag ihren dritten Geburtstag feiert, haben die Äußerungen einer Führungsfigur zu so heftigen Reaktionen beim politischen Gegner wie auch in den eigenen Reihen geführt, wie die Ausführungen von Parteichefin Frauke Petry am Wochenende zum Schußwaffengebrauch in der Asylkrise.

Auf die Frage, wie ein Grenzpolizist ihrer Ansicht nach verhindern solle, daß Flüchtlinge illegal nach Deutschland kommen, hatte Petry in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen geantwortet: „Er muß den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schußwaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“ Wohl ahnend, auf welch dünnes Eis sie sich damit begeben hatte, fügte die AfD-Chefin hinzu: „Ich habe das Wort Schießbefehl nicht benutzt. Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“

Vorstand berät auf Telefonkonferenz

Wenig später hatte die stellvertretende Parteivorsitzende Beatrix von Storch  noch einen draufgesetzt. Auf Faceebook hatte sie auf die Frage, ob sie „Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern“ wolle, mit „Ja“ geantwortet. Später stellte sie klar, daß ein Schußwaffeneinsatz gegen Kinder „richtigerweise nicht zulässig“ sei, wohl aber der gegen Frauen.

Nicht nur in den Landesverbänden Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die am 13. März Landtagswahlen zu bestreiten haben,   reagierten AfD-Mitglieder fassungslos auf die Äußerungen. Wahlkämpfer berichteten von irritierten Nachfragen und ablehnenden Äußerungen von Passanten. In mehreren Landesverbänden hätten Interessenten ihren Antrag auf einen Parteibeitritt zurückgezogen, wurde zudem berichtet.

Am Montag reagierten Petry und ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen mit einer gemeinsamen Pressemitteilung auf die teils harschen Reaktionen. „Die AfD lehnt es strikt ab, daß auf Menschen geschossen wird, die friedlich Einlaß in das Bundesgebiet begehren. Die AfD strebt keinerlei Verschärfung der diesbezüglich geltenden Rechtslage oder Praxis an.“ Hektisch versuchte die Parteifühung auf diesem Weg wieder einzufangen, was längst nicht mehr einzufangen war. Die Diskussion über den „Schießbefehl“ hatte sich schon verselbständigt. 

Und schnell zeigte sich, daß es den Kritikern Petrys und von Storchs gar nicht darum ging, was die AfD-Politiker tatsächlich gesagt hatten – sondern darum, was sie daraus machen konnten. Der politische Gegner ließ sich die Vorlage der AfD-Spitzenfrauen denn auch nicht entgehen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet warf der Partei vor, den Boden des Grundgesetzes verlassen zu haben. „Wenn die Führungsspitze der AfD auf ausdrückliche Nachfrage erläutert, an der Grenze auch auf Kinder schießen zu lassen, verläßt sie den Verfassungsbogen, der auch extreme Meinungen zuläßt.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte den Verfassungsschutz auf, die AfD zu beobachten. „Bei der AfD gibt es massive Zweifel, daß sie auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Republik steht“, sagte Gabriel der Bild-Zeitung. SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann ergänzte: „Der letzte deutsche Politiker, der auf Flüchtlinge schießen ließ, war Erich Honecker.“

Auch wenn aus den Reihen des Verfassungsschutzes der Aufforderung, die AfD zu beobachten, umgehend eine Absage erteilt wurde, ist der Schaden für die Partei immens. Und das Unverständnis der Vorstandskollegen groß. Petry sei ohne Not über ein Stöckchen gesprungen, das ihr in dem verhängnisvollen Interview mit dem Mannheimer Morgen hingehalten worden sei, hieß es aus dem Vorstand. Auch der Vorwurf der Unprofessionalität war zu vernehmen. Auf einer zweistündigen Telefonkonferenz der AfD-Spitze am Dienstag wurde das Thema ausgiebig zur Sprache gebracht – allerdings vorerst ohne Konsequenzen.

Während die meisten Wahlkämpfer angesichts der „Schießbefehl“-Debatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, dürfte einem AfD-Politiker die mediale Aufregung gerade recht gekommen sein: André Poggenburg. Zwar steckt auch er als AfD-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt gerade mitten im Wahlkampf. Doch nachdem Poggenburg in der vergangenen Woche einräumen mußte, daß gegen ihn bereits mehrfach Haftbefehle wegen unbezahlter Rechnungen verhängt worden seien, ist er vermutlich dankbar dafür, daß sich das mediale Interesse nun auf Petry und von Storch konzentriert.

Nachdem Ende vergangener Woche sogar die Zukunft Poggenburgs als Spitzenkandidat auf der Kippe stand, stellte sich der Landesvorstand am Montag hinter ihn. „Es gab keine Umsturzanträge oder Bestrebungen, Herrn Poggenburg abzusetzen“, sagte Vorstandsmitglied  Daniel Roi am Montag auf einer Pressekonferenz. „Der Landesvorstand steht vollständig hinter Herrn Poggenburg.“ Ob der Spitzenkandidat allerdings nach einem Einzug der AfD in den Magdeburger Landtag wie geplant die Fraktionsführung übernehmen kann, scheint derzeit zweifelhaft.

Foto: AfD-Chefin Frauke Petry (li.), Parteivize Beatrix von Storch: Ruf nach dem Verfassungsschutz