© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Hauptsache, die Uniform sitzt
Das Kriegsbild im Kaiserreich vor 1914 und in den ersten Jahren des Ersten Weltkriegs
Martin Grosch

Kaisers Zeiten, am 2. September: Feierlichkeiten allenthalben im Deutschen Reich. Das Brandenburger Tor ist festlich geschmückt, Paraden, schwarzweißrot beflaggte Häuser und patriotische Reden prägen das öffentliche Bild. Die Kinder haben schulfrei. Ein Nationalfeiertag, wie er im Buche steht. Wie kein zweiter Tag steht der Sedantag exemplarisch für die Erinnerungskultur an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Alle zwei Jahre wurde die entscheidende Schlacht gegen die Franzosen vom 2. September 1870 bei Sedan, bei der Kaiser Napoleon III. in Gefangenschaft geraten war, noch einmal gedanklich siegreich durchgespielt, ja durchgekämpft. 

Die nationalen Hochgefühle, der Rausch und die Empfindungen waren real und ergriffen nicht nur die bürgerlichen Kreise im Reich. Sedan war für die Deutschen eben mehr als nur eine gewonnene Schlacht. Es war vielmehr der Gründungsmythos einer neuen Nation. Deutlich wird dies auch anhand des „Sedan-Büchleins“, das zum 25jährigen Jubiläum 1895 in der Reihe „Neue Volksbücher“ erschein, die von der „Vereinigung von Freunden christlicher Volksliteratur“ herausgegeben wurde. „Die großen Siege unseres Volkes im Jahre 1870/71“ läßt hier der Autor noch einmal aufleben. „Für das Vaterland zu leben und zu sterben, ist des deutschen Mannes höchster Ruhm“, betont er gleich zu Beginn, um dann den 2. September als „Gottesgericht“ zu glorifizieren und religiös zu überhöhen: „Vaterlandsliebe und Begeisterung stähle unsern Arm und neu erwache das Gedenken an die gewaltigen Schlachten, durch welche wir vor fünfundzwanzig Jahren den Erbfeind bezwangen.“ Mit einem Appell an eine glorreiche Zukunft schließt das Büchlein, das hier stellvertretend für die zahlreiche Erinnerungs- und Gedenkliteratur zum Deutsch-Französischen Krieg seinen Platz einnimmt und so das Kriegsbild der Deutschen entscheidend mitbeeinflußte. Dieser Krieg war allgegenwärtig und durchweg positiv konnotiert. Auch die militärische Historienmalerei prägte insbesondere in der Gestalt des Malers Anton von Werner das deutsche Bild dieses Krieges nachhaltig. Es war ein idyllisierendes Bild, in dem das deutsche Militär stets in überlegener Pose erscheint und sich durch tadellos sitzende Uniformen auszeichnet.  

Europäische Gesellschaften waren durchweg militarisiert

Ein Ende des 19. Jahrhunderts sprunghaft angestiegener Denkmalskult trug ebenfalls zu einer positiven Erinnerungskultur an die Einigungskriege bei. Die Siegessäule in Berlin mit erbeuteten französischen Kanonenrohren als besonderer Zierat oder die Germania auf dem Niederwald mit der Auflistung aller zentralen Schlachten von 1870/71 stellen nur zwei herausragende Beispiele dar, wie ein positives Kriegsbild in der Öffentlichkeit allgegenwärtig war.  

Das positive Bild des Krieges an sich und seine Allgegenwärtigkeit als politische Option zog sich in all den Jahren durch Zeitschriften wie die Gartenlaube, eine Vorläuferin der modernen Illustrierten und das erste große erfolgreiche deutsche Massenblatt, das als gemeinsame Familienlektüre diente und auch in zahlreichen Leihbibliotheken und Cafés auslag. Im Jahrgang 1889 finden sich beispielsweise Beiträge über die preußische Kriegsakademie in Berlin oder ein Portrait über Feldmarschall Helmuth von Moltke: „Siebzig Jahre im Dienst der Waffen und der Ehre“. Auch hier ragen wieder der Deutsch-Französische Krieg sowie Moltkes strategische Verdienste gerade auch im Zusammenhang mit der Schlacht von Sedan deutlich heraus. 

Aber Kriegsbilder, Kriegserwartungen und Militarismus waren nicht allein durch gezielte Propaganda „von oben“ entstanden. Sie basierten auch auf einem weitverbreiteten Gedankengut, das durch die Tätigkeit von Vereinen oder in der Literatur besonders präsent war. 1913 waren im Prinzip alle europäischen Gesellschaften militarisierte Gesellschaften. Die Alltäglichkeit des Militärischen zeugte von einer gewissen Akzeptanz soldatischer Werte und Normen, auch wenn diese von der Friedensbewegung kritisiert wurden.

Im August 1914 war der von vielen als Befreiungsschlag oder reinigendes Gewitter herbeigesehnte Krieg da. Krieg galt – getreu nach Clausewitz – immer noch als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und erschien somit speziell auch für Angehörige des Bildungs- und Besitzbürgertums allemal akzeptabler, als an Ehre, Prestige und Bündnisfähigkeit einzubüßen. Diese Hochstimmung und der Jubel kannten auch in allen anderen europäischen Mächten, die im August 1914 in den Krieg zogen, keine Grenzen. 

Selbst die in Opposition zum wilhelminischen Staat stehende SPD zeigte sich im Zeichen der Krise zum „Burgfrieden“ bereit und stimmte für die Bewilligung der notwendigen Kriegskredite. Unter stürmischem Beifall auch der bürgerlichen Parteien erklärte ihr Vertreter im Plenum des Reichstages: „Wir machen wahr, was wir immer gesagt haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich.“ Die Kriegsbegeisterung, die in erster Linie die größeren Städte beherrschte, erfaßte  insbesondere das Bildungsbürgertum, Studenten und Gymnasiasten – letztere vielfach vor allem auch deshalb, weil sie auf ein Abenteuer hofften und somit dem Schulalltag entgehen konnten. 

Die militärischen Operationen auf deutscher Seite verliefen zunächst nach Plan. Ein französischer Gegenangriff brachte dann in der Marneschlacht vom 6. bis 9. September 1914 den deutschen Vormarsch jedoch zum Stehen. Statt eines erhofften raschen Sieges, erfochten mit glorreicher Kavallerie und in ehrenhaften und ritterlichen Kämpfen, wie es vielen Kriegsfreiwilligen suggeriert wurde, wandelte sich der Krieg schnell von einem Bewegungskrieg zum mörderischen hochtechnisierten Stellungskrieg in einer 700 Kilometer langen Front von der belgischen Küste bis an die Schweizer Grenze. Nicht mehr das idealisierte Bild des Soldaten hoch zu Roß mit Schild und Lanze als kühner und edler Ritter, sondern Maschinengewehre, Handgranaten und Giftgas dominierten nun das Geschehen.

Ausblendung der Brutalität des Stellungskrieges

Änderte sich aufgrund dieser völlig neuen und für die Soldaten unbekannten Lage nun das bisher positive, vom Begeisterungsrausch geprägte Kriegsbild? In zahlreichen Publikationen zunächst nicht. Stellvertretend sei hier die „Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16 – Allgemeine Kriegszeitung“ genannt. Verherrlichende heroische Schlachtengemälde, Berichte über Kriegsfreiwillige, Siegesmeldungen und zahlreiche heldenhafte Einzelleistungen dominieren. Einige die Realität eher abbildende Fotos fallen somit wenig ins Gewicht und werden durch entsprechend positiv konnotierte Kriegsgedichte und -lieder wie etwa „Die Heilige Zeit“ von Paul Enderling mehr als kompensiert. Ein im März 1915 erschienenes „Kriegsbuch für die Jugend und das Volk“ verdeutlicht noch stärker den propagandistischen Hintergrund. 

Zwar findet sich beispielsweise eine schematische Darstellung von Schützengräben, dennoch kommt die Brutalität des Stellungskrieges hier nicht zum Ausdruck. Vielmehr wird die „Heldentat Jürgen Focks“, eines 18jährigen Matrosen, der eine englische Mine entschärfte, glorifizierend in lockerem Plauderton den künftigen Soldaten nähergebracht. Und so geht es in einem fort: „Flieger und Fliegerstreiche“ oder eine „Kriegserzählung aus der ostpreußischen Russenzeit“ lassen im Angesicht des Massensterbens der Materialschlachten keine schlechte Stimmung aufkommen.