© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Goldgräberstimmung für Islamisten
Asylkrise II: Tagung zur Sicherheitslage in Deutschland
Marcus Schmidt

André Schulz ist ein bulliger Typ. Der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) verbindet dazu eine gewisse Hemdsärmlichkeit mit einer ausgeprägten politischen Rauflust. Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um sich als Gewerkschaftschef Gehör zu verschaffen – birgt aber immer auch die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen.

Ein schönes Beispiel für dieses Spannungsverhältnis war in der vergangenen Woche bei den traditionellen Sicherheitsgesprächen des BDK in Berlin zu beobachten. Gleich zu Beginn zeichnete Schulz ein düsteres Bild der Sicherheitslage in Deutschland. Angesichts der Asylkrise und der Situation an den Grenzen sprach er von einem teilweisen Kontrollverlust des Staates und der Behörde. Diese seien zudem nur unzureichend auf die Situation vorbereitet. „Die jahrelangen Warnrufe der Gewerkschaften sind ungehört verhalt“, kritisierte Schulz mit Blick auf den jahrelangen Personalabbau bei den Sicherheitsbehörden. Zudem sei die aktuelle Flüchtlingswelle nicht überraschend gekommen. „Seit 2011 gab es genügend Hinweise“, behauptete Schulz. „Hätten sich Politiker den Hinweisen nicht verschlossen, hätten wir fünf Jahre Zeit gehabt, uns vorzubereiten.“ Diese Versäumnisse seien auch für den „Riß durch die Gesellschaft“ verantwortlich, den der BDK-Vorsitzende konstatierte und der einhergehe mit einem Vertrauensverlust der Bürger in Politik, Polizei, Medien und Justiz.

Soviel Schwarzmalerei wollte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nicht unkommentiert lassen. „Man muß bei der Beschreibung der Lage aufpassen, daß man keine Kollateralschäden verursacht“, sagte de Maizière und mahnte zu Vorsicht bei der Verwendung des Begriffs Kontrollverlust. „Köln ist nicht überall“, fügte er hinzu. Jede andere Reaktion de Maizières wäre für ihn als obersten Chef der Sicherheitsbehörden des Bundes indes auch dem Eingeständnis des eigenen Scheiterns gleichgekommen. Dennoch: Die hochkarätig besetzte Tagung, zu der auch BKA-Chef Holger Münch, Bundespolizei-Präsident Dieter Romann und Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen sowie der Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, in die Berliner Landesvertretung des Saarlands gekommen waren, zeigt wie angespannt die Stimmung in den Sicherheitsbehörden derzeit ist. Die Polizei der Länder und des Bundes ächzen ebenso unter den Belastungen der Asylkrise und der permanenten Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus wie der Verfassungsschutz. Jetzt rächen sich die Stellenstreichungen der vergangenen Jahre. Bis zu 20 Millionen Überstunden haben Polizisten bereits gesammelt, rechnete jüngst der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, vor.

„Die Zeit des Personalabbaus ist vorbei“, verkündete vor diesem Hintergrund der Bundesinnenminister. Und die Zahlen scheinen ihm recht zu geben. Allein der Bundespolizei wurden 3.000 neue Beamte bewilligt. Doch als de Maizière bereits zum nächsten Termin unterwegs war, machte der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, mit einer Bemerkung das Dilemma der Sicherheitsbehörden deutlich. „Wo sind die neuen Beamten denn? Im Bundesgesetzblatt“, sagte Romann und verwies darauf, daß die ersten tausend neuen Bundespolizisten erst im September 2019 ihre Ausbildung beenden werden, die letzten gar erst 2021.

De Maizière ging es indes nicht alleine um die Zahl der Polizisten, sondern auch um deren Außendarstellung. In der Vergangenheit sei zu sehr die schöne, weiche Seite der Polizei in den Vordergrund gerückt worden. Als Beispiele nannte er Werbesprüche wie „Die Polizei, dein Freund und Helfer“ sowie „Die Kriminalpolizei rät“. Manche Menschen seien daher überrascht, wie hart Polizeiarbeit sei, berichtete der Innenminister. Etwa, wenn ein Sondereinsatzkommando (SEK) gewaltsam in eine Wohnung eindringe. „Wer SEK bestellt, bekommt auch SEK“, zitierte er einen Polizeikommandeur. Mit ihrer harten Seite, so de Maizière, könne die Polizei mehr Akzeptanz erreichten.

„Terrorwelle gegen Flüchtlinge“

Deutlich wurde auf der Tagung die Sorge vor einer Radikalisierung der Gesellschaft. Während der Geschäftsführer der Lobbyorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, angesichts der Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte von einer „Terrorwelle  gegen Flüchtlinge“ sprach und der BDK-Chef gar Parallelen zur Weimarer Republik zog, beklagte de Maizière neben dem „besonderen Problem der fremdenfeindlichen Gewalt“ auch eine allgemeine Verrohung und „Entgrenzung“ im Umgang miteinander in Deutschland.

Doch auch von einer anderen Seite drohe Gefahr. Islamisten in Deutschland, wie die Salafisten und der sogenannte „Kalifatstaat“ befänden sich derzeit in einer „Goldgräberstimmung“, warnte Maaßen. Der Verfassungsschutz habe bereits zahlreiche Kontaktaufnahmen in Flüchtlingsunterkünften beobachtet. Diese Versuche stießen häufig auf fruchtbaren Boden. Gerade viele junge Männer, die aus ländlichen Gegenden in ihren Heimatländern stammten, suchten in Deutschland Anschluß und warteten darauf, daß sie an die Hand genommen werden.