© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Innere Unsicherheit an der Elbe
Hamburg: Nach dem Scheitern der Olympia-Bewerbung und dem Rücktritt von Innensenator Neumann ist der Senat von Olaf Scholz aus dem Tritt geraten
Michael Johnschwager

Das neue Jahr begann für Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit einem Paukenschlag. Innensenator Michael Neumann – der auch für den Sport zuständig ist – verkündete Mitte Januar überraschend seinen Rücktritt. Fast zeitgleich wurde eine Umfrage veröffentlicht, in der die SPD im vergleich zur Bürgerschaftswahl vor einem Jahr um 8,6 Prozentpunkte auf nun 37 Prozent abrutschte. Angesichts dieser Zahlen war es für Scholz ein schwacher Trost, daß die Konkurrenz von der CDU in der Hansestadt mit 14 Prozent nur noch knapp vor der erstarkten AfD (13 Prozent) kommt.

Schon das vergangene Jahr war nicht so recht nach dem Gusto des Bürgermeisters verlaufen, der zur Führungsreserve der Bundes-SPD zählt. Bei der Olympiabewerbung für 2024 hatte seine rot-grüne Koalition, unterstützt von der Opposition mit Ausnahme der Linkspartei, alle Register der Öffentlichkeitsarbeit gezogen. Besonders  der sportbegeisterte Neumann hatte viel persönliches Engagement an den Tag gelegt, die Spiele in die Hansestadt zu holen. Die Bürger hatten Gelegenheit, bei mehreren Veranstaltungen die Pläne des Senats kennenzulernen. Dabei präsentierten internationale Architekten ihre Ideen zur Gestaltung der an der Elbe geplanten Sportstätten. Doch der Werbekampagne war letztlich keine Fortune beschieden. Beim Referendum am letzten November-Sonntag stimmten die Hamburger gegen das sportliche Prestigeprojekt. Ein empfindlicher Schlag ins Kontor des Senats, der weit über die Grenzen des Stadtstaates hinaus vernommen wurde. 

Ein Hauptgrund für das Scheitern lag in der bis zum Referendum im Vagen gebliebenen Frage der finanziellen Beteiligung des Bundes. Auf ungeklärte Finanzierung reagiert die merkantil ausgerichtete Hansestadt allergisch. Zumal sich das Olympia-Gelände in Sichtweite zur noch immer nicht fertiggestellten Elbphilharmonie befindet, deren Kosten von einst 77 Millionen Euro auf mittlerweile 789 Millionen Euro gestiegen sind. 

Neumann, der mit der Bundesbeauftragten für Migration, Fluchthilfe und Integration, Aydan Özuguz, verheiratet ist, empfand das Aus offenbar als persönliche Niederlage. Sein Rückzug stimmt nachdenklich, galt er vielen doch als ausgewiesener Innenexperte, versiert und geschickt. Sein Auftreten war eloquent, der konziliante Habitus weckte Sympathien. Zum neuen Innensenator stieg der etwas spröde Andy Grote auf. Seine Nominierung verdankt der Parteisoldat dem SPD-Bezirksproporz. Bisher leitete er das Bezirks-amt Hamburg-Mitte, das in den vergangenen Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geraten war.

Grote wohnt mitten auf St. Pauli, er weiß um die Übergriffe auf dem berüchtigten Kiez. Quasi vor seiner Haustür wurde die Fehde zweier Rockerclubs, Mongols und Hells Angels, brutal ausgetragen. Dabei schrecken diese Gangs nicht vor dem Einsatz von Schußwaffen zurück. An St. Pauli schließt sich das Schanzenviertel an, wo Linksextremisten regelmäßig für gewalttätige Krawalle sorgen. Ebenfalls belastend für die Bürger wirkt sich eine überbordende Kriminalität aus, Einbruchdiebstahl ist an der Tagesordnung. Auch der immense Zufluß an Asylbewerbern nach Hamburg führt zu immer mehr Problemen. Das Nein der Hamburger zu Olympia dürfte daher nicht der einzige Grund für den Rücktritt Neumanns gewesen sein. Es war vielmehr der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. 

Die oppositionelle CDU wirft dem Bürgermeister vor, die Kontrolle verloren zu haben, verbunden mit einer schwindenden Glaubwürdigkeit. Scholz verliert einen Zuarbeiter, der auch außerhalb der SPD als besonnener Kopf wahrgenommen wurde. Innere Sicherheit ist eine enorme Baustelle. Die stadtweite Problemlage brennt den Menschen unter den Nägeln. Gleichzeitig wurde die Personaldecke der Hamburger Polizei in den vergangenen Jahren immer stärker ausgedünnt. Die kumulierten Überstunden der Beamten bewegen sich in Millionen-Größenordnung. Das drückt zwangsläufig auf deren Stimmung und Motivation.

Cameron und Merkel zu Gast

Angesichts der Gemengelage braucht Scholz einen Pragmatiker, um seinen Senat wieder auf Kurs zu bringen. Grote traut er dies offenbar zu. Die Hamburger wiederum erwarten von ihrem Innensenator,  der inneren Unsicherheit wirksam und nachhaltig Paroli zu bieten.

Doch an diesem Freitag kann Scholz seine Sorgen für einige Stunden vergessen. Denn dann richtet der Senat im Festsaal des Rathauses das seit 1356 begangene prunkvolle Matthiae-Mahl zu Ehren der „Vertreter der Hamburg freundlich gesonnenen Mächte“ aus. Scholz wird, wie es die Tradition von ihm verlangt, auf dem obersten Absatz der Senatstreppe stehend den britischen Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Ehrengäste empfangen.