© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Pankraz,
D. Pinckney und die Masse-Klasse-Rasse

Das häufigste Schimpfwort gegen die Gegner der derzeitigen Berliner Flüchtlingspolitik ist „Rassist“. Man braucht gar nicht mehr zu erklären, was genau man damit meint, ja, kurioser noch: wer es erklären wollte, käme selber sofort in den Verdacht, ein Rassist zu sein. Die französische Regierung hat kürzlich mit Zustimmung der Parlamentsmehrheit das Wort „Rasse“ aus allen Gesetzen und Verlautbarungen gestrichen. Denn den Tatbestand von Rassen gäbe es in der Wirklichkeit gar nicht, und deshalb dürfe es auch kein Wort dafür geben. Fremdenfeindliche Unholde werden hingegen selbstverständlich auch weiterhin als „Rassisten“ gekennzeichnet.

Auch hierzulande wagt es kaum noch ein Biologe, von Rassen zu sprechen. Tut er es doch einmal, versichert er zunächst eifrig, daß er nur Hunde- oder Pferderassen meint:  Den Begriff „Rasse“ in bezug auf Menschen zu verwenden, sei völlig unsinnig. Um ihn nicht für Unterscheidungen zwischen Menschen zu verwenden, bedürfe es gar keines Gesetzes, es genüge „politische Hyiene“. Das Wort „Rasse“ ist durch die politische Instrumentalisierung, welche es im Dritten Reich, aber auch in Amerika oder in Südafrika erfahren hat, derart tabuisiert, daß man sich ihm höchstens noch im Schutzanzug nähern kann.

Eine Ausnahme machen allein einige schwarze Politologen in den USA, die ihre eigene „Rasse“ zunehmend herauskehren und auf ihre spezifische „Rassezugehörigkeit“ stolz sind.   Soeben hat in der New York Review of Books Darryl Pinckney wie selbstverständlich einen Essay von Ta-Nehisi Coates angezeigt und in höchsten Tönen gefeiert, in dem dieser das Leben seines Vaters referiert, eines seinerzeit berüchtigten Black-Panther-Aktivisten, über den man bisher eher verlegen hinwegsah.

Des alten Coates’ Ziel“, schreibt Pinckney ehrfürchtig, „war es, schwarz zu werden und schwarz zu bleiben und vor der Korruption der Assimilierung zurückzuscheuen. Zurückweisung des amerikanischen Traums, des diffusen, egalitären Mittelklasselebens verstand sich von selbst. Als kulturelles Erbe wurde authentische Blackness zu einer Art von Errungenschaft und intellektuellem Kapital. (…) An Gewaltlosigkeit glaubten sie nicht. Nur Clowns machten sich soziale Hoffnungen. Darauf darf man sich nicht einlassen. Schütz dich davor. Das ist mehr als Skepsis. Desillusioniert zu sein heißt, dafür zu sorgen, daß man niemandes Gespött werden kann.“

Was erwidert man als biederer Mitteleuropäer solchen superstolzen US-Bürgern, ohne sich gleich strafbar zu machen? Nun, vielleicht sollte man sich zunächst einmal für die endliche Übersetzung eines Buches des britischen Zoologen Richard Dawkins aus dem Jahre 2004 einsetzen. Es trägt den Titel „The Ancestor’s Tale“ (auf deutsch etwa: „Was der Urahn erzählt“) und nähert sich der Rassenfrage vergleichsweise ungeniert und mutig.

Dawkins konstatiert, daß die menschlichen Rassen, was ihre Gene betrifft, alle miteinander identisch sind. Aber ist damit, fragt er, auch die Unerheblichkeit der Rassenfrage erwiesen? Davon könne schwerlich die Rede sein. Schließlich sei auch die genetische Differenz zwischen  Menschen und Schimpansen faktisch nicht vorhanden, ohne daß dadurch die gravierenden biologischen und kulturellen Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen hinfällig würden. Dawkins: „Gen-Kombinationen allein erklären sehr wenig, wie wir als Biologen fast jeden Tag lernen müssen.“ 

Man sollte auch bedenken, daß der Begriff der Rasse nach den Konventionen des seriösen Wissenschaftsbetriebs sehr unscharf sei. Er manifestiert sich lediglich in „sekundären“ Merkmalen, also vor allem im sogenannten Phänotyp. Ein Papua aus Neu-Guinea und ein Polynesier aus Samoa haben die gleichen „primären“ genetischen Merkmale, aber ihre Phänotypen, also Hautfarbe, Behaarung, Gesichtsschnitt usw. sind außerordentlich verschieden.

Und was vom Phänotyp im engeren Sinne gilt, gilt nicht minder für das kulturelle Verhalten, für Sex und Heiratsbräuche, für die Götter, die angebetet, für die Dämonen, die gefürchtet werden. Auch sie sind eklatant verschieden, für jeden Beobachter sofort wahrnehmbar, und man kann die Differenz auch nicht einfach geographisch erklären, etwa durch die beträchtliche räumliche Entfernung der einen von der anderen Kultur. Die Polynesier als Inselbewohner des Pazifischen Ozeans leben seit unvordenklichen Zeiten weit voneinander getrennt, aber ihr Phänotyp und ihre Bräuche sind auf allen Inseln die gleichen geblieben. 

Es ist offensichtlich nicht in erster Linie räumliche Trennung oder ökologische Spezifizierung, die die menschliche Art in Rassen aufteilte, sondern kulturelle Auswahl, bewußte Entscheidung der „ancestors“, der Urahnen, beim Sich-Paaren und Nachkommen-Erzeugen. Der jeweils dominierende Urahn bevorzugte Partnerinnen mit Merkmalen, die ihm ganz persönlich gefielen, entweder weil er sie selber trug oder weil sie ein ihn faszinierender Gegensatz zum Eigenen waren. Und die Stammesangehörigen folgten ihm in seinem Geschmack, weil er Nummer eins und Vorbild war. „Rasse“ ist also in der Theorie von Dawkins weniger ein Natur- denn ein Kulturbegriff. 

Solcher Deutung entspricht auch die Etymologie des Wortes „Rasse“, das in allen Sprachen das gleiche ist. Es bedeutet Herausgehobenheit, Rasanz. Bevor das Wort „Rasse“ ins Vokabular der Biologen einzog, von denen es als Systembezeichnung für Unterarten verwendet wurde, war es ein Lobwort für besonders gelungene Einzelexemplare. Eine rassige Frau bezeichnete nicht irgendeine sich biologisch langsam entwickelnde Unterart, sondern einen gattungsmäßigen Knalleffekt, Klasse.

Wahrscheinlich ist es dies, was „Rasse“ heute zum Schimpf- und Totschlagwort hat werden lassen. Die aktuellen Zeitgeistverwalter wollen nur noch Masse, nicht mehr Klasse. Ob die Rassen darüber aussterben, ist allerdings noch nicht entschieden. Es könnte sein, daß eines Tages sogar die Gene gegen den erwünschten Wischiwaschi-Phänotyp rebellieren.