© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Das zweite Mal magdeburgisiert
Bombenkriegsstudie und das Januarfiasko 1945
Matthias Bäkermann

Das Jahr 2002 bedeutet aus heutiger Sicht eine Zäsur in der Betrachtung eines wesentlichen Aspektes des Zweiten Weltkriegs: des Bombenkriegs und seiner Verheerungen. Der Berliner Historiker Jörg Friedrich hatte damals mit seinem Buch „Der Brand“ einen völlig neuen Zugang zu einem Thema erschlossen, das zuvor auf Fachebene von Luftkriegshistorikern abgehandelt wurde und in der Bilanz der Zerstörung fast exklusiv in der DDR (Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg, Ost-Berlin 1980) gewürdigt worden war. Ansonsten wurde die Aufarbeitung mit unterschiedlichem Anspruch und wissenschaftlicher Qualität von Regional- oder Stadthistorikern geleistet – immerhin.

Ebenso wie viele Autoren nach Friedrich (zuletzt Richard Overy 2015) widmet sich Wolfgang Lanz’ großformatige Arbeit mit einem etwas sperrigen Titel in einer Gesamtschau nun auch dem strategischen Luftkrieg – solide und auf gängige wissenschaftliche Werke gestützt. Die opferreichsten Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Deutschen Reich – in den Elbstädten Hamburg 1943 und Dresden 1945 – werden dabei besonders gewichtet. 

Der besondere Wert seiner Studie dürfte aber aus dem zweiten Teil bestehen, welches ein drittes Bombeninferno an der Elbe in den Fokus nimmt: die Zerstörung Magdeburgs am 16. Januar 1945 durch die britische Royal Air Force. Lanz, der als Vierjähriger die Ausradierung seiner Vaterstadt überlebte, beschreibt die fast völlige Zerstörung des Zentrums, die sogar das Exklusivrecht des Wortes Magdeburgisieren für die Vernichtung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg 1632 in Frage stellt. Wie Lanz im Geleitwort schreibt, hat ihn diese Tragödie und das Leben in den Trümmerwüsten danach tiefgreifend geprägt. 

Ebenso wie in Dresden gab es auch in Magdeburg nach 2005 eine lebhafte Diskussion um die Opfer. Die schon zu DDR-Zeiten geltende Zahl von 16.000 Toten wurde einer drastischen Revision unterzogen – nicht zuletzt, um einer „Instrumentalisierung der Opfer“ entgegenzuwirken. Das folgende Gezerre mutierte gleichsam zum Politkabarett. Mehr als jede Forschung wurde dabei zunehmend Gesinnung zum Richtmaß eines fast pervers anmutenden „Bodycounts“.

Wolfgang Lanz: Zur Entwicklung des Luftkriegs im Zweiten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der Zerstörung Magdeburgs. Verlag Haag + Herchen, Hanau 2015, broschiert, 243 Seiten, Abb., 78 Euro