© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Der Flaneur
Frühmorgens im Park
Paul Leonhard

Sie ist klein. Ihr Leib tonnenförmig. Nicht mal der Ansatz einer Taille erkennbar. Die strähnigen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Waden weiß und stramm. Den Kopf samt Oberkörper leicht geneigt, als fiele sie gleich nach vorn. So trippelt sie durch den Park. Es sieht echt doof aus, aber niemand außer mir nimmt davon Kenntnis. Und ich bin eigentlich vollauf mit mir selbst beschäftigt. Bezüglich Atemtechnik und innerem Schweinehund.

Es ist Sonntag morgen, kurz vor acht, der Park an diesem Wintertag fast leer, die Luft zu kühl. Noch fehlen die hippen Extremsportler, die sonst an einem vorbeisprinten, -hüpfen oder -fahren würden. Jetzt ist die Stunde der Anfänger, die sich sonst nicht trauen. Ich beispielsweise.

Unsportliche Übergewichtige mit schlechtem Gewissen unter sich. Anfahrt mit dem Auto.

Diesmal würde ich keine fünf Minuten um den Häuserblock traben, sondern mindestens eine halbe Stunde quer durch den Park, die grüne Lunge der Stadt. Wo mich keiner sieht. Hoffentlich. Unsportliche Übergewichtige mit schlechtem Gewissen unter sich. Anfahrt mit dem Auto.

Eine alte Dame stakt klirrend mit Nordic-Walking-Stöcken auf einem asphaltierten Nebenweg. Ein älteres Ehepaar probiert die Skater aus. „Papa, ich hänge fest“, klagt ein kleines Mädchen auf ihrem Kinderfahrrad und nähert sich vorsichtig dem Abgrund eines vielleicht fünf Zentimeter hohen Bordsteins. „Hängst du nicht“, beruhigt der. Die Kleine tastet mit ihren Markensportschuhen nach dem Boden, schiebt das Rad ein wenig mehr, und tatsächlich, der weiße Reifen hopst nach unten. Geschafft. Sie tritt in die Pedale.

Ich trabe los. Hundert Meter. Dann wechsle ich in den Schritt, laufe, gehe, laufe. Irgendwann lasse ich mich auf eine Bank fallen. Es reicht, man soll beim ersten Mal nicht übertreiben. Ich beobachte zwei Männer, die seltsame Übungen auf einer Wiese machen. Dann trippelt mir die „Tonne“ wieder entgegen. Respekt, denke ich. Ausdauer hat sie.