© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

„Das ist blanker Aktionismus“
Flüchtlingskrise: Trotz wortreicher Ankündigungen bleibt die Zahl der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber auf niedrigem Niveau
Christian Schreiber

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Weit mehr als eine Million Asylbewerber sind 2015 nach  Deutschland eingereist. Aber nur 58.108 Ausreisepflichtige haben die Bundesrepublik  verlassen. Die Bundesregierung feiert dies dennoch als Erfolg. Schließlich habe sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. So seien 20.888 Ausländer abgeschoben worden, heißt es in einer Statistik des Bundesinnenministeriums. 2014 waren es 10.884. 

Die rechtliche Grundlage ist relativ eindeutig. Paragraph 58 des Aufenthaltsgesetzes besagt, daß ein Ausländer, der den erforderlichen Aufenthaltstitel nicht mehr besitzt, zur Ausreise verpflichtet ist. Komme er dem nicht nach, muß abgeschoben werden. 37.220 Menschen haben Deutschland demnach freiwillig verlassen. In den meisten Fällen seien dies Personen aus den Balkanstaaten gewesen. Schätzungen zufolge halten sich derzeit weit mehr als eine halbe Million Menschen in der Bundesrepublik auf, die eigentlich zur Ausreise verpflichtet wären. Teilweise genießen diese Personen einen Duldungsstatus. So kann die Abschiebung ausgesetzt werden, wenn zum Beispiel Reisedokumente fehlen oder abgelehnte Asylbewerber eine schwere Erkrankung nachweisen können. 

Teilweise scheitert eine Ausweisung auch daran, daß die Heimatländer sich weigern, ihre Landsleute aufzunehmen. So warf die Bundesregierung im Januar nordafrikanischen Staaten „unkooperatives Verhalten“ bei Abschiebungen vor. Rund 5.500 Algerier, Marokkaner und Tunesier seien nach einem internen Papier der Innenbehörden Ende Juli vergangenen Jahres ausreisepflichtig gewesen. Lediglich 53 konnten im ersten Halbjahr 2015 in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

Angesichts der aufgeheizten politischen Situation sucht die Regierung nun händeringend nach Lösungen.  So will man in Kürze Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan zurückschicken. Um ihre „freiwillige Rückkehr und die zwangsweise Rückführung zu erleichtern“, hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Innenminister der Länder um tatkräftige Unterstützung gebeten.  In Berlin wird derzeit erbittert darüber gestritten, welche Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer bezeichnet werden können. Denn nur dorthin darf abgeschoben werden. De Maizière sagte dem ZDF, er halte Afghanistan nicht für ein sicheres Herkunftsland: „Aber es gibt sichere Gebiete, etwa im Norden des Landes.“ Rückführungen in dieses Land sollen nun einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. Generell gilt nach Auffassung des Innenministeriums die Faustregel: Je häufiger abgeschoben wird, desto mehr Menschen verlassen das Land auch freiwillig. 

Die Opposition ist strikt dagegen. „Das ist nichts weiter als blanker Aktionismus. Algerien und Marokko sind keine sicheren Herkunftsländer. Und Afghanistan schon gar nicht“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter.

Bremen schickt nur jeden 70. zurück  

Die Bundesregierung hat darüber hinaus den Vorschlag gemacht, straffällig gewordene Flüchtlinge in Drittstaaten abzuschieben, wenn eine Rückkehr in ihre Heimatländer nicht möglich sei. „Wir verhandeln mit der Türkei und anderen Ländern über die Rückübernahme auch solcher Flüchtlinge, die aus Drittstaaten kommen“, sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Der Koalitionspartner SPD sieht dies kritisch: „So ganz durchdacht scheint mir der Vorschlag nicht zu sein. Die Begeisterung in den betroffenen Drittstaaten wird sich in Grenzen halten“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD).

Ohnehin stellt sich die Frage, wie effizient die derzeitige Abschiebepraxis in Deutschland ist, die zudem Ländersache ist. Und diese handhaben die Umsetzung in der Praxis sehr unterschiedlich. Von den 20.916 Personen, die 2015 abgeschoben wurden, entfielen nach einem Bericht der Welt 4.395 auf Nordrhein-Westfalen, 4.195 auf Bayern, 898 auf Berlin und lediglich 43 auf Bremen. „Bei uns wird nur jeder 70. abgeschoben. Das ist eindeutig zu wenig“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion Willi Hinners. Ganz anders die Lage in Bayern. Dort wird immerhin jeder vierte Ausreisepflichtige auch tatsächlich abgeschoben, teilte das Innenministerium mit.