© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Glaube verdrängt Eßkultur
Bildungspolitik: Weil die Zahl der moslemischen Kinder wächst, nehmen immer mehr Kitas Schweinefleisch vom Speiseplan
Elena Hickman

Wem läuft bei einem goldgelb panierten Schweineschnitzel nicht schon das Wasser im Mund zusammen? Anscheinend einigen Kindertagesstätten in der Umgebung von Frankfurt am Main. Denn immer mehr Einrichtungen verzichten dort auf Schweinefleisch in ihrem Speiseplan. Der Grund: Moderne Ernährungsweisen – aber auch viele moslemische Kinder.

„Wir verzichten auf Wunsch des Kunden grundsätzlich auf Schweinefleisch“, sagte eine Sprecherin des Cateringunternehmens Wisag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die von der Stadt beauftragte Firma stellte aber klar, der Kundenwunsch sei von den Kitas gekommen, nicht von der Stadt. Und auch die Leiterin des städtischen Eigenbetriebs „Kita Frankfurt“, Gabriele Bischoff, bestätigte, es habe „keine Anweisung oder Anordnung zum Ausschluß von Schweinefleisch im Rahmen der Verpflegung an die Kinderzentren“ gegeben. In manchen Stadteilen von Frankfurt liegt der Anteil moslemischer Kinder zwischen 30 und 50 Prozent, manchmal auch darüber. 

Doch nicht nur dort scheint Schweinefleisch vom Speiseplan verschwunden zu sein. Ein Leser berichtete der jungen freiheit, seine Tochter besuche eine Kindertagesstätte in Nordrhein-Westfalen. Auch da habe die Kita-Leitung beschlossen, künftig auf Schweinefleisch zu verzichten. Auf Nachfrage habe er erfahren, daß die Eltern von vier moslemisch geprägten Kindern in der Einrichtung dies so gefordert hätten. Die Kita-Leitung sei dem „gern nachgekommen“.

 „In den nächsten Jahren wird das Schweinefleisch immer weiter von den Speiseplänen in Kitas und Schulen verschwinden“, sagte die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Ulrike Arens-Azevêdo, dem Hamburger Abendblatt. Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) zeigte sich gegenüber der jungen freiheit angesichts dieser Veränderung besorgt: „Es kann nicht sein, daß wir Schweinefleisch, das Teil unserer Ernährung und Eßkultur ist, einfach von den Speiseplänen verbannen.“ Er erwarte, daß Kreativität im Umgang mit kulturellen Eßgewohnheiten zu mehr Abwechslung im Speiseplan führe, nicht zu weniger. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, besuchten im vergangenen Jahr etwa 2,5 Millionen Kinder bis sechs Jahren eine Kindertagesstätte. Knapp 1,3 Millionen Kinder wurden dort mehr als sieben Stunden pro Tag betreut – also auch mit Mittagessen. 

Das Verschwinden des Schweinefleischs aus dem Speiseplan ist aber nicht nur auf moslemische Eßgewohnheiten zurückzuführen. Die DGE empfiehlt den Kitas, maximal zweimal pro Woche Fleisch anzubieten, wobei eins davon Geflügel sein sollte. In der Praxis bedeutet das für die Kinder: höchstens viermal im Monat wird ihnen Schweinefleisch serviert. Schmidt will die Standards der DGE flächendeckend in Schulen und Kitas etablieren. Laut einer Umfrage der DGE an rund 140.000 Kitas halten sich bereits etwa 30 Prozent an die Vorgaben, und knapp 80 Prozent achten auf moslemische Speisevorschriften.

 „Je städtischer, desto internationaler und desto eher wird auf Schweinefleisch verzichtet“, sagte die Sprecherin der Wisag. In ländlichen Gebieten werde eher Schweinefleisch gewünscht. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Frankfurter Rathaus, Michael zu Löwenstein, hält es für richtig, auch in einer Kita mit hohem Anteil moslemischer Kinder Schweinefleisch zu servieren. Schließlich würde in den Kindertagesstätten immer auch eine vegetarische Mahlzeit angeboten. Kein Kind sei deshalb gezwungen, entgegen seinem Glauben oder seiner gewohnten Ernährung Schweinefleisch zu essen.