© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Scalias schwieriges Erbe
USA: Der Tod des konservativen Verfassungsrichters offenbart die tiefen Gräben zwischen Obama und Republikanern
Manfred Friedrich

Er war ein Jurist von fesselnder Brillanz, mit dem seltenen Talent, selbst den nüchternsten Richter zum Lachen zu bringen. Es war ein großes Glück, ihn als Kollegen und Freund gehabt zu haben“, sagte Ruth Bader Ginsburg über ihren Kollegen am Obersten Gerichtshof, Antonin Scalia, der am Samstag im Alter von 79 Jahren an Herzversagen starb. 

Die 82jährige linksliberale Ginsburg, die 1993 von Präsident Bill Clinton nominiert wurde, und der 1986 von Ronald Reagan berufene gläubige Katholik Scalia wurden in ihrer gemeinsamem Zeit am Gericht enge Freunde und feierten, trotz ideologischer Differenzen, jedes Jahr mit ihren Familien gemeinsam Silvester. 

Während die Obersten Richter noch um ihren geschätzten Kollegen trauerten, entbrannte in Washington bereits der Streit darüber, wer Scalia beerben solle. Richter am Obersten Gerichtshof werden vom Präsidenten berufen und müssen vom Senat bestätigt werden. Einmal im Amt, bleiben sie dort auf Lebenszeit. 

Vor allem für das konservative Amerika war der Tod des 28fachen Großvaters ein schwerer Schlag. Die große Angst der Republikaner ist, daß ein von Obama benannter liberaler Richter das Kräfteverhältnis zu ihren Ungunsten kippen könnte. Bis zu Scalias Tod amtierten neben vier liberalen, von demokratischen Präsidenten ernannten Richtern, auch vier Konservative, darunter Scalia. 

Der wie Scalia ebenfalls von Reagan ernannte, in vielen Fragen jedoch moderatere Anthony Kennedy bildete in diesem Geflecht nicht selten das Zünglein an der Waage. Sofort forderten daher die republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten, daß erst der im November zu wählende Präsident einen neuen Richter ernennen dürfe. Präsident Obama bestand hingegen darauf, dem Senat einen Kandidaten vorzuschlagen. Mike Lee, Senator aus Utah, bewertete Obamas Chancen, einen Kandidaten durch den von Republikanern dominierten Senat zu boxen, als „geringer als Null“.

Tatsächlich gilt es beinah als ungeschriebenes Gesetz, daß ein scheidender Präsident in seinem letzten Amtsjahr keine Richter mehr ernennt. Ausnahmen waren meist speziellen Situationen geschuldet, wie etwa die Berufung von Kennedy durch Reagan 1988, nachdem der Senat im Jahr zuvor Reagans erste Wahl, Robert Bork, abgelehnt hatte. 

Sollte es zwischen Obama und dem Senat zu keiner Einigung kommen, werden bis zur Wahl eines Nachfolgers die acht aktiven Richter die Urteile sprechen. Bei einem Patt gilt die Entscheidung der unteren Instanz. Brisant, denn bei Streitfragen von Abtreibung und dem Recht auf Waffenbesitz bis hin zu Religionsfreiheit und Todesstrafe entscheiden nicht der Präsident oder der Kongreß, sondern oftmals die neun Obersten Richter.