© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

„Dreht der Wahlurne nicht den Rücken zu“
Superwahltag im Iran: Zwar konterte der Wächterrat zahlreiche Reformer aus, dennoch hoffen diese auf Erfolge
Marc Zoellner

Hassan Khomeini ist endgültig aus dem Rennen ausgeschieden. Zweimal hatte sich der passionierte Fußballer als Kandidat zur Wahl des iranischen Expertenrats beworben. Als er im Januar das erste Mal abgelehnt wurde, ging er in Revision. Doch der zwölfköpfige Wächterrat, die wohl einflußreichste politische Institution des theokratischen Iran, bestätigte seine Entscheidung.

Khomeini, so schreibt der Wächterrat, besitze „nicht genug Wissen über den Islam“, um die Zukunft des mittelöstlichen Landes auf Dauer mitgestalten zu können, und schon gar nicht als künftiges Mitglied des Expertenrats. Eine Erklärung, die Khomeini verwundert: Immerhin meisterte der 43jährige bereits 1993 erfolgreich sein Studium zum schiitischen Geistlichen an der renommierten Universität von Qom. Er verfaßte ein vielbeachtetes Buch über Sekten im Islam und ist obendrein der Geschäftsführer des Instituts zur Erfassung und Veröffentlichung der Werke des Ayatollah Khomeini – Hassan Khomeinis Großvater.

Konservative Altherrenriege kämpft ums Überleben  

„Es überrascht mich und auch viele andere, daß einige der ehrenwerten Gentlemen des Wächterrats nicht nachweisen konnten, daß ich qualifiziert sei“, gab Khomeini der Presse später zu Protokoll. Doch daß die Begründung des Wächterrats nicht mehr als eine bloße Ausrede ist, um den populären Enkel des Revolutionsführers von der politischen Mitbestimmung im Iran auszuschließen, ist Khomeini durchaus bewußt. Denn immerhin – der einzige in dieser Lage ist der junge Geistliche keineswegs.

Am 26. Februar ist Superwahltag. Bei einer Theokratie wie dem Iran mag dieser Begriff im ersten Moment als Farce erscheinen. Doch der Ausgang dieser Wahl könnte durchaus dazu geeignet sein, die künftige Ausrichtung des ressourcenreichen Golfstaats nicht nur für die kommende Legislaturperiode, sondern sogar für den kompletten Zeitraum der nächsten Generation zu bestimmen.

Rund 50 Millionen Iraner sind am 26. Februar dazu aufgerufen, die 290 Sitze der Islamischen beratenden Versammlung, des iranischen Nationalparlaments, neu zu verteilen. Ein rundes Dutzend dieser Sitze ist dabei den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten des Landes vorbehalten, den Christen, Juden und Zoroastriern. Über zwölftausend Iraner hatten sich beim Wächterrat für die Wahl ihrer Person beworben – so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. Daß sich darunter auch 1.200 Frauen befanden, gilt Analysten des Wahlgeschehens ebenfalls als Meilenstein im Kampf um Gleichberechtigung innerhalb der konservativ-autokratischen Gesellschaft.

Doch nur eine Minderheit wurde   zugelassen. Denn wer Abgeordneter im Parlament werden möchte, muß hohe Hürden meistern. Ein abgeschlossenes Studium sowie eine gute Reputation innerhalb der eigenen Gemeinde sind ebenso Voraussetzungen wie die Treue zu den Grundzügen der Islamischen Republik. Über letzteres befindet allein der Wächterrat, dessen geistliche Mitglieder wiederum einzig vom Obersten Religionsführer des Iran, dem derzeitigen Ayatollah Ali Khamenei ernannt werden. Ein Teufelskreis innerhalb der iranischen Verfassung, welcher den schrumpfenden konservativen Altherrenkreis der Loyalisten um Khamenei vor den immer zahlreicher in Aktion tretenden Reformern um Hassan Khomeini und andere jungpolitische Hoffnungsträger zu schützen versucht.

Allein von den rund 3.000 Bewerbern aus dem reformorientierten Lager wurden lediglich 30 im ersten Anlauf akzeptiert, stellte der einflußreiche Reformpolitiker Hossein Marashi Anfang Februar traurig fest. „Das sind gerade einmal ein Prozent der Reformisten.“ Insgesamt seien sogar über 7.000 Kandidaten vom Wächterrat abgelehnt worden. „Es war uns unmöglich, deren Qualifikationen für das Amt zu bestätigen, angesichts der wenigen Zeit, die wir dafür zur Verfügung hatten“, rechtfertigte Nejatollah Ebrahimian, der Sprecher des Wächterrats später deren rigides Aussiebverfahren.

Und auch für den Expertenrat, der gleichzeitig zum Parlament am 26. Februar neu gewählt wird, erhielten lediglich rund 160 der über 600 Bewerber ihre Zulassung. Doch gerade auf dieser Wahl ruht die Hoffnung der sich nach Reformen sehnenden Majorität der iranischen Bürger. Denn immerhin, zeigen jüngste Meinungserhebungen, kann sich die theokratische Clique der Loyalisten um Ali Khamenei auf kaum mehr als noch zwanzig Prozent Zuspruch innerhalb der Bevölkerung berufen. Daß der inzwischen 76jährige Khamenei jedoch die kommende Legislaturperiode des Expertenrats gesundheitlich komplett durchzustehen vermag, bezweifeln viele der Reformisten.

Viele Hoffnungen ruhen auf Präsident Hassan Rohani 

Nach dessen Rücktritt oder Tod wird dem Expertenrat die Aufgabe zukommen, aus ihrer Mitte einen neuen Obersten Religionsführer zu wählen. An dieser Stelle, zeigen sich Reformisten wie Moderate vorsichtig optimistisch, könne erstmals ein Geistlicher ins Amt gebracht werden, welcher selbst nicht mehr aktiv an der Islamischen Revolution von 1979 partizipierte, sondern diese nur noch vom Hörensagen kennt – kein erzkonservativer Kleriker mehr wie Khamenei, sondern, wenn schon kein Reformer, dann doch zumindest ein Moderater wie der derzeitige Präsident Hassan Rohani, dessen erfolgreiche Verhandlungen im Atomstreit den Iran nach Jahrzehnten des internationalen Embargos zurück in die Staatengemeinschaft führten.

„Dreht den Wahlurnen nicht den Rücken zu“, rief Rohani seine Anhänger auf, trotz der bescheidenen Alternativen an der Wahl teilzunehmen. „Wenn ein Laden nicht die idealen Sachen hat, die ihr für eure Kinder kaufen wolltet, kauft ihr doch trotzdem auch die besten, die gerade verfügbar sind, um zu verhindern, daß eure Kinder sich sonst erkälten.“