© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Pankraz,
das Bargeld und die negative Freiheit

Von Friedrich Nietzsche gibt es eine Empfehlung, die gut in die aktuelle Diskussion über die von der Berliner Regierung geplante (zunächst teilweise) Abschaffung des Bargeldes paßt. „Bei Geld und bei Wechslern“, schreibt er in seinem Buch „Menschliches, Allzumenschliches“, „muß man Handschuhe anziehen.“ Ein gut funktionierender Geldverkehr  sei wie ein gut funktionierender Darmkanal, jedes Gemeinwesen habe ihn nötig, natürlich auch ein von aristokratischen Idealen beflügeltes. Aber deshalb brauche man ja nicht gleich vor den Eingeweiden und ihrer Peristaltik in Devotion zu versinken. 

Nun kommen die vielen Stimmen, die das Bargeld zur Zeit in überschwenglichen Tönen als Inbegriff und letzten Hort unserer individuellen Freiheit feiern, nicht unbedingt von Anhängern eines von aristokratischen Idealen beflügelten Gemeinwesens. Aber ihre Empörung über die Pläne der Regierung ist dennoch unüberhörbar echt – und zudem völlig realistisch. Eine Abschaffung des Bargeldes wäre – man kann es nicht anders sagen – völlig irre, eine Ausgeburt halbverrückter Großbürokraten.

Sie würde uns entweder zurückstoßen in die Zeiten primitiven Gebrauchsgüter-Austauschs à la Neandertaler, oder in bloße Zootiere verwandeln, die irgendwelchen digitalen Aufsehern vollständig ausgeliefert wären und keinen einzigen Schritt mehr ohne staatliche oder konzerngeleitete Registrierung machen könnten. Wie stöhnte der Meinungskomiker Wagner von der Bild-Zeitung vor einigen Tagen? „Ohne Bargeld könnte ich ja nicht einmal mehr einem Bettler einen Fünf-Euro-Schein zustecken!“ Er hatte in diesem Fall nur allzu recht. Nicht einmal eine Zwanzig-Cent-Münze könnte er ihm zustecken.


Indes, auch die Bargeldgegner haben in vieler Hinsicht recht. Das Bargeld ist im Zeitalter von Big Data und elektronischem, blitzschnellem Überweisungsverkehr tatsächlich zu einem Moment der Behinderung und unnötiger Verkomplizierung geworden. Der Bargeldumlauf ist von starken saisonalen Schwankungen geprägt. Lohn- und Gehaltszahlungstermine, Steuerzahlungstermine oder die Reisezeit führen zu statistisch wahrnehmbaren Erhöhungen, die die Effizienz der Banken und Behörden empfindlich mindern.

Und schlimmer als das: Die Bargeldbestände bei Kreditinstituten (und nicht nur bei diesen) bieten permanenten Anreiz für kriminelle Aktionen größten Ausmaßes: Banküberfälle und andere Räubereien, raffinierte Diebstähle, Geldwäsche, Korruption, Bestechung, Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Terrorfinanzierung. Außerdem fehlt dem modernen Bargeld, im Gegensatz zu den schweren, jedoch strahlenden Gold- und Silberbeständen, die man in alten Zeiten mit sich herumschleppen mußte, jederlei Aura des Exquisiten. Es ist, für sich genommen, nichts weiter als schmieriges Papier und billigstes Münzengeklapper. 

Die ganze Geistesgeschichte ist durchzogen von einer Tradition ausdrücklicher Geldverachtung, die sich gerade bei ihren größten Vertretern, von Dante bis Shakespeare und von Molière bis Goethe (siehe Faust II), in der deftigsten Weise artikulierte. Karl Marx nannte das Geld bekanntlich verächtlich einen „Fetisch“. Georg Simmel, dessen Buch „Philosophie des Geldes“ aus dem Jahr 1900 an sich als Marx-Widerlegung und purer Lobpreis des Geldes erinnert wird, sprach in Wahrheit vom „Doppelcharakter“ des Geldes und stellte die Gefahren des Geldhandels scharf heraus.

Sein Buch, schrieb Simmel damals im Börsenblatt des deutschen Buchhandels, wolle zeigen, daß das Geld zwar ein eminenter Motor und Beförderer der Freiheit sei, ein willkommener  Gleichmacher, der dem schlichten Gebrauchswert einen „echten“, überindividuellen Wert, nämlich den Tauschwert, verschaffe, daß es andererseits aber den Menschen entwurzele und seine Persönlichkeit zerstöre. Die Freiheit, die das Geld stifte, sei – für sich genommen – lediglich „negative Freiheit“.


Geld als Instrument modernen, globalisierten Tauschhandels, so der Grundtenor von Simmels „Philosophie des Geldes“, sei immer noch bloß eine Vorform und, bei entwickelter Geldwirtschaft, ein provinzieller Nebenaspekt der „Funktion Geld“. Deren eigentliches Zentrum sei eben der Geldhandel, die Verwandlung von Geld in Kapital, das sich nur momentweise auf konkrete Verhältnisse einlasse, mit der Absicht zu „hecken“ (Marx), das heißt sich selbst zu vermehren. Dabei ziehe es immer weitere Kreise, beziehe immer neue konkrete Lebensbereiche in seine abstrakt-funktionale Vermehrungsabsicht hinein.

Alles im Leben hat eben zwei Seiten, einen Doppelcharakter,  und so auch das Geld. Es ist einerseits – und zwar in der Form des Bargelds – Motor und Beförderer der Freiheit, andererseits  – als bloße Funktion und Bestandteil von Big Data – ein bereits halb verrückt gewordener, auf bloße Selbstausweitung begieriger Funktionalismus, der den Menschen entwurzelt und seine Persönlichkeit zerstört. Dabei ist es gleichgültig, ob die Selbstzerstörung von einzelnen Konzernen oder Investmentgesellschaften vorangetrieben wird oder von Staaten beziehungsweise deren Regierungen wie zur Zeit in Berlin. 

Die von Berlin angestrebte Abschaffung des Bargelds paßt nur allzu gut ins Konzept, auch wenn sie zunächst nur höhere Summen (5.000 Euro) betreffen und angeblich der Bekämpfung der dem Bargeld innewohnenden eignen Kriminalitäten wie Geldwäsche und Korruption dienen soll. Es ist das pure Ablenkungsmanöver. Der Besitz von Bargeld bedeutet individuelle Freiheit, Dispostionsfreiheit, und er erfordert, wie jede Form von Freiheit, Entscheidung – entweder für das Gute oder für das weniger Gute oder gar das Böse. Man muß wählen, und ein guter Staat kann einem nur die Wahl erleichtern, nicht sie einem abnehmen. 

Bei Lichte betrachtet ist jede Form von Freiheit eine negative Freiheit im Sinne von Georg Simmel und als solche eine anthropologische Grundkonstante. Wer sie sich wegnehmen läßt, geht nicht nur unter sein eigenes Niveau, sondern auch unter das Niveau der Gattung.