© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Das Geheimnis hinter der Fassade
Kino: In dem US-Horrorfilm „The Boy“ von William Brent Bell soll ein Kindermädchen eine Porzellanpuppe betreuen
Claus- M. Wolfschlag

Als die junge Amerikanerin Greta (Lauren Cohan) einen Job als Kindermädchen in einem abgelegenen alten englischen Herrenhaus übernimmt, ist sie sich der ungewöhnlichen Begleitumstände nicht bewußt. Statt eines lebendigen Jungen zeigen ihr die Eltern (Jim Norton und Diana Hardcastle) nur eine Porzellanpuppe, um die sie sich zu kümmern habe.

Brahms, der achtjährige Sohn der Familie, ist verstorben, doch offenbar scheinen seine Eltern nicht über dessen Tod hinweggekommen zu sein. Sie umhegen die Puppe liebevoll und verlangen von dem Kindermädchen die Einhaltung eines strengen Verhaltenskataloges: mit Speisen versorgen, umkleiden, unterrichten, Geschichten vorlesen, Musik abspielen.

Als die Hausherren verreisen, meint Greta, nun endlich mit dem ihr absurd erscheinenden Spiel aufhören zu können. Sie telefoniert mit Freunden, trinkt Wein und schaltet in den Müßiggang-Modus. Das rächt sich aber. Auf rätselhafte Weise verschwinden ihre Kleider, sie wird im Dachboden eingesperrt, und die womöglich lebendige Puppe scheint eigenständig Ortswechsel vorzunehmen. Gemeinsam mit dem Hausverwalter Malcolm (Rupert Evans) versucht Greta dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, ob der Geist des toten Brahms noch lebt.

Die Puppe als Horrorfigur steht seit jeher für die im Unterbewußten gespeicherten Schreckerlebnisse der Kindheit. Man denke an die bekannte „Chucky“-Reihe oder James Wans „Dead Silence“ von 2007, in dem es um die Hinterlassenschaft einer alten Puppenspielerin geht. Regisseur William Brent Bell hat schon einige Erfahrung mit Horrorthemen sammeln können. In „Stay Alive“ führte er 2006 in ein real werdendes Computerspiel. Die Streifen „Devil Inside“ von 2012 und „Wer – Das Biest in dir“ von 2013 verarbeiten das Exorzismus- und das Werwolf-Thema, wobei William Brent Bell stets den Fokus auf die mit Action geladene Eskalation von unkontrollierbar gewordenen Situationen gelegt hat.

Mit „The Boy“ hat er einen ruhigeren Film gedreht. Über weite Strecken gelingt es ihm, klassische Gothic-Atmosphäre zu gestalten. Sogar an ein bizarres Happy End mag man glauben, bis die Situation am Ende doch eskaliert und sich der Streifen zum Schlitzerfilm verändert. Gleichwohl bleibt er den Motiven des klassischen Grusels verbunden, da die Ursachen des Geschehens in unverarbeiteten Traumata der Familiengeschichte liegen, in krankhaften Elternbeziehungen und der Unmöglichkeit eines zurückgebliebenen Geistes, erwachsen zu werden.