© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

König sucht Land
Baden-Württemberg: AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen kämpft im Wahlkampf nicht nur um den Einzug in den Landtag, sondern auch um seine Rolle in der Partei
Marcus Schmidt

Jörg Meuthen vergräbt beide Hände tief in den Taschen seiner dunkelblauen Outdoor-Jacke. Die Schultern hat er hochgezogen, als hoffe er, so dem naßkalten Wetter entfliehen zu können. Gestern ist es wieder spät geworden. Nach der Wahlkampfveranstaltung in Weil der Stadt westlich von Stuttgart war er spätabends noch zurück nach Karlsruhe gefahren. Nach Hause zu seiner Familie. Nun, um kurz nach zehn, steht der Spitzenkandidat der AfD in Baden-Württemberg an diesem ungemütlichen Samstagmorgen bereits wieder an einem Wahlkampfstand. Eine Stunde ist er mit dem Auto nach Backnang, rund 30 Kilometer nordöstlich der Landeshauptstadt, unterwegs gewesen. Ohne Frühstück. „Mein Leben wäre wesentlich entspannter, wenn ich meiner Professur nachgehen würde“, sagt Meuthen und tritt gegen die kriechende Kälte von einem Bein auf das andere. 

Dennoch wirkt er entspannt, scherzt mir der Handvoll AfD-Mitgliedern, die mit ihm zusammen am Eingang zur Fußgängerzone der 35.000 Einwohner zählenden Stadt Wahlkampfzettel an die Passanten verteilen. Der Zuspruch ist gut. Familien, die mit ihren Kindern auf dem Weg zum Wochenendeinkauf sind, ziehen mit blauen AfD-Luftballons weiter. Nur vereinzelt gibt es offenen Widerspruch. „Scheißdreck“ zischt ein Jugendlicher, als er mit seinem Kumpel am AfD-Stand vorbeikommt. Ein älterer Mann erregt sich über die Äußerungen von Meuthens Co-Parteichefin Frauke Petry zum Schußwaffengebrauch an den Grenzen. Nach einem kurzen Wortgefecht mit Meuthen zieht er weiter. Dafür, daß es bei verbalen Auseinandersetzungen bleibt, sorgen an diesem Vormittag auch zwei kräftig gebaute junge Männer, die etwas abseits scheinbar unbeteiligt neben dem Stand stehen. Nur wer genau hinsieht bemerkt, daß sie die Passanten aufmerksam beobachten, noch bevor diese den Stand passieren. „Wir gehen nie mehr ohne Sicherheitsdienst raus“, sagt AfD-Kreischef Ralf Özkara. 

„Meine Höflichkeit schadet mir“ 

Der Inhaber eines Pflegeunternehmens hilft Meuthen, den Wahlkampf im Wahlkreis 17 (Backnang) zu organisieren. Denn das Wahlrecht in Baden-Württemberg hat seine Tücken. Jeder Wähler hat nur eine Stimme, mit der sowohl der Direktkandidat als auch die Gesamtzahl der Sitze einer Partei im Landtag ermittelt werden. Eine Landesliste gibt es nicht – und damit eigentlich keinen Spitzenkandidaten. Deshalb kommt es auf das persönliche Ergebnis der Kandidaten an. 

Im schlimmsten Fall könnte Meuthen ein Mandat verfehlen, auch wenn seine Partei in den Landtag einzieht. Das sei seine „Urangst“, gesteht er. Eine Bruchlandung am Wahlabend will der leidenschaftliche Segelflieger unter allen Umständen verhindern. Deshalb tritt er nicht nur in seinem Heimatwahlkreis Bretten bei Karlsruhe an, der als schwieriges Pflaster für die AfD gilt, sondern auch in Backnang. „Das ist ein guter Wahlkreis“, versichert Özkara, der vor seinem AfD-Beitritt zehn Jahre lang CDU-Mitglied war. Auch andere Parteien in Baden-Württemberg sichern wichtige Kandidaten mit einem zweiten Wahlkreis ab.

 Als Parteichef ist Meuthen nicht nur in seinen eigenen Wahlkreisen gefordert. Am Abend zuvor hat er im katholischen Gemeindehaus von Weil der Stadt den örtlichen Landtagskandidaten der AfD untertützt. Der Saal ist mit rund 150 Bürgern bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Bedienung hat Mühe, sich durch die engen Reihen zu zwängen, um das nächste Bier oder mit Käse überbackene Maultaschen zu servieren. Dennoch, für AfD-Verhältnisse ist es ungewöhnlich, daß die Menschen nicht sogar bis zum Ausgang stehen. Der Grund: Zweimal mußte die Veranstaltung kurzfristig verlegt werden, weil der Partei die Räume gekündigt worden waren. Vor der Tür steht die Polizei. „Ich freue mich, daß sie den Mut gefunden haben“, begrüßt Meuthen die Gäste.  

Der Wirtschaftswissenschaftler ist niemand, der Menschen mit seinen Reden – oder besser gesagt Vorträgen – von den Sitzen reißt.  Jörg Meuthen ist kein Bierzeltredner. „Ich kann nicht aus meiner Haut heraus, ich bleibe Hochschullehrer“, sagt er ohne Resignation. Doch die Zuhörer folgen Meuthens sachlichen Ausführungen zur Bildungs- und Energiepolitik in Baden-Württemberg und natürlich zur Flüchtlingskrise an diesem Abend dennoch aufmerksam. Der Spitzenkandidat der AfD kommt ohne Schärfe und Zweideutigkeiten aus. „Wir können doch den Menschen nicht vorwerfen, daß sie kommen. Ist doch logisch, daß die kommen“, sagt er etwa zur Asylkrise.

„Ich lasse mit das nicht mehr gefallen“ 

Nur als er auf den SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid zu sprechen kommt, dem Meuthen vorwirft, ihn und die AfD als „rassistische Hetzer“ zu diffamieren, verändert sich seine Tonlage. Doch wo andere ebenso deftig zurückgekeilt hätten, versucht Meuthen dem Angriff des politischen Gegners mit Humor die Spitze zu nehmen. Schmid bezeichnet er als den „kleinen Nils“, so als ob er sagen will: Nehmt den SPD-Mann bloß nicht ernst – und das, was er sagt, erst recht nicht. Die Passage mit dem „kleinen Nils“, von der es auch einen Mitschnitt auf Youtube gibt, ist mittlerweile so etwas wie der Running Gag auf Meuthens Wahlkampfveranstaltungen. Doch eigentlich ist dem AfD-Mann an dieser Stelle gar nicht zum Lachen zumute. Die immer heftiger werdenden Attacken Schmids empfindet er als infam und zutiefst ungerecht. „Ich lasse mir das nicht mehr gefallen. Das Maß ist voll. Ich gehe jetzt auf Angriff über“, kündigt er im Gespräch mit der jungen freiheit an. Er werde jetzt aggressiver. „Meine Höflichkeit bringt mir viele Sympathien ein. Sie schadet mir aber auch“, fügt er selbstkritisch hinzu – und hat damit vielleicht seinen wunden Punkt beschrieben. 

Ansonsten ist es nicht einfach, AfD-Mitgliedern überhaupt ein kritisches Wort über Jörg Meuthen zu entlocken. „Sehr guter Mann!“ heißt es meistens. „Ausgeglichen, ruhig, moderat, überlegt, ehrlich“, lauten einige Charakterisierungen, wenn AfD-Mitglieder nach ihren Erfahrungen mit ihrem Parteichef gefragt werden. Auch im vertraulichen Gespräch klingt das meist nicht anders. Liegt es daran, daß der AfD-Chef tatsächlich ohne Fehl und Tadel ist? Oder schätzen ihn seine innerparteilichen Gegner als so harmlos ein, daß sie ihn nicht als Gefahr für ihre eigenen Ambitionen sehen und sich daher nicht an ihm abarbeiten?

Jörg Meuthen, der beteuert, er habe nie Parteichef werden wollen, schätzt seinen Einfluß in der Partei realistisch ein. Im Vergleich mit den AfD-Fraktionschefs in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, Alexander Gauland, Frauke Petry und Björn Höcke, ist er ein König ohne Land. In der Bundespartei ist seine Stimme bislang selten zu vernehmen. Außerhalb der Partei ist Meuthen kaum bekannt, selbst in Baden-Württemberg nicht. Bislang hatte er erst einen Auftritt in einer großen Talkshow. 

Doch das alles soll sich am 13. März ändern. Bei einem Einzug in den Stuttgarter Landtag, in den Umfragen steht die AfD in Baden-Württemberg  derzeit zwischen 10 und 12 Prozent, wäre Meuthen mit einem Schlag der mächtigste Fraktionschef der AfD – legt man die Wählerstimmen zugrunde. Dann wird sich zeigen, ob er sein neues Gewicht in der Partei auch gegen Widerstände einsetzen wird. Nicht alle in der AfD trauen ihm das zu. Und verweisen dabei auf Meuthens Verhalten im Fall Björn Höcke. 

Familie und Glaube als Kraftquellen

Nach dessen heftig kritisierten Äußerungen über das Fortpflanzungsverhalten von Afrikanern im Dezember vergangenen Jahres hatte Meuthen mit Höcke telefoniert und ihm deutlich seine Meinung gesagt. Doch anders als in Rheinland-Pfalz, wo AfD-Spitzenkandidat Uwe Junge dafür gesorgt hat, daß Höcke nicht im Wahlkampf auftritt, reiste der Erfurter Fraktionschef in den vergangenen Wochen gleich mehrfach in den Südwesten, um die Parteifreunde zu unterstützen. Manche werfen Meuthen daher vor, er sei inkonsequent und scheue den Konflikt. Andere betonen die Notwendigkeit, den nicht unbedeutenden nationalkonservativen Flügel des Landesverbands um den Vorsitzenden der Jungen Alternative, Markus Frohnmaier, der auch für den Landtag kandidiert, einzubinden. Meuthen verweist darauf, daß die Auftritte Höckes im Wahlkampf bislang ohne Skandale über die Bühne gegangen sind.

Sich selbst beschreibt Meuthen als „werdender Profi“ und die AfD als politisches „Start-up“. Mehr noch als mit allen Unzulänglichkeiten im Wahlkampf kämpfe er derzeit aber mit seinem Schlafdefizit, klagt er. „Ich esse auch nicht mehr richtig.“ Kraft holt sich der Katholik im Glauben, den er  aber nicht vor sich her trägt. Schon gar nicht im Wahlkampf. So hält er es auch mit seiner Frau und den Kindern, der zweiten Kraftquelle. „Die Familie ist mir heilig“, sagt er. Daher die ständigen Autofahrten spät in der Nacht zurück nach Karlsruhe. Und daran wird sich nach dem 13. März nichts ändern. Auch als Landtagsabgeordneter will er zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und der alten badischen Residenz Karlsruhe pendeln – wenn nötig jeden Tag.

Ausführliche Dokumentation  „Jörg Meuthen – Alternative fürs Ländle?“ 

 www.jf.de/tv