© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Der nette Herr Dehm
JF exklusiv: Der Linkspartei-Abgeordnete und frühere Stasi-Informant beschäftigt den Ex-Terroristen Christian Klar im Bundestag
Christian Vollradt / Felix Krautkrämer / Marcus Schmidt

Diether Dehm ist wütend, richtig sauer: Ausgerechnet die junge freiheit, empörte sich der Linken-Bundestagsabgeordnete am vergangenen Freitag in einer Videobotschaft via Youtube, habe öffentlich gemacht, daß Christian Klar, ehemaliger Terrorist der Rote Armee Fraktion (RAF), der bis 2008 wegen gemeinschaftlich verübten, mehrfachen Mordes in Haft saß, als Mitarbeiter für ihn, den Abgeordneten Dehm, tätig ist. Und das „nur 56 Minuten“ nachdem der Ältestenrat des Parlaments darüber beraten habe, ob Klar für die Gebäude des Bundestags den beantragten Hausausweis bekommen könne, der ihm von der Bundestagspolizei bisher verweigert worden war. 

Allerdings ist das, was Dehm behauptet, nur die halbe Wahrheit. Denn tatsächlich ging es nach Informationen der jungen freiheit auf der Sitzung des Ältestenrats am Donnerstag vergangener Woche gar nicht um Christian Klar, sondern um einen Mitarbeiter der NPD. Dieser hatte einen Hausausweis beantragt, um das Büro des NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt betreten zu können, das diesem – wie jedem anderen deutschen EU-Parlamentarier – im Bundestag zusteht. Dem Mann wurde der Ausweis jedoch verweigert. Begründung: Sicherheitsbedenken. Offenbar mit Hinweis auf die Tatsache, daß er im Oktober 2012 wegen Volksverhetzung zu acht Monaten Haft auf Bewährung sowie 1.000 Euro Geldbuße verurteilt worden war. 

Als sich der Ältestenrat nun mit dem Fall beschäftigen mußte – denn dazu soll innerhalb des nächsten halben Jahres eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts ergehen –, habe Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der Sitzung darauf hingewiesen, daß ein Mitarbeiter eines Abgeordneten der Linkspartei ein noch viel längeres Strafregister vorweist. Obwohl Lammert Christian Klar nicht erwähnt haben soll, machte der Name des früheren RAF-Terroristen nach Ende der Sitzung des Ältestenrats im Parlament schnell die Runde.  

„Erstaunt bin ich lediglich über seine Frechheit“

Daß die junge freiheit daraufhin, bevor sie das Beschäftigungsverhältnis öffentlich machte, bei Dehms Abgeordnetenbüro anruft, findet der 65jährige Linkspartei-Politiker „skandalös“, wie er nicht ohne Theatralik auf seinem Youtube-Kanal verkündet. Denn: „Was soll ich diesen rechten Säcken irgendeine Auskunft geben?“ Überhaupt kann Dehm den Druck, der jetzt auf ihn ausgeübt werde mit der unterschwelligen Aufforderung, sich von Klar zu trennen, nicht nachvollziehen. „Wir leben in einem Land des demokratischen Rechtsstaats; da ist Berufsverbot mit dem Grundgedanken der Resozialisierung überhaupt nicht vereinbar.“ Schließlich habe Christian Klar „26 Jahre im Zuchthaus (sic!) gesessen und sich nach seiner Haftentlassung nicht das geringste zuschulden kommen lassen“. Klar mache als Selbstständiger für einen sehr geringen monatlichen Geldbetrag – die Rede ist von 300 Euro – seit einigen Jahren „zu meiner vollen Zufriedenheit“ technisches Webdesign, ohne „Einfluß auf Inhalte“. Klar sei „ein feinsinniger Mensch und überhaupt kein radikaler Scharfmacher“, sagte Dehm der Bild am Sonntag. Er habe ihn vor vier oder fünf Jahren „auf einer Friedensdemonstration kennengelernt“. Weil er gehört habe, daß der frühere Terrorist als Webdesigner Arbeit suche, habe er ihm eine Mitarbeit für seinen Verlag und sein Bundestagsbüro angeboten. 

In den Augen der Union ist das ein Skandal: „Die RAF war kein Verein politischer Wirrköpfe, sondern eine terroristische Organisation, deren blutige Spur sich durch die jüngere Geschichte unseres Landes zieht“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), der jungen freiheit. Nach wie vor seien nicht alle Morde und die jeweiligen Tatbeiträge vollständig aufgeklärt. „Christian Klar wurde wegen neunfachen Mordes und elffachen Mordversuchs verurteilt. Die Beschäftigung eines der maßgeblichen Protagonisten des Terrors und eines mehrfachen Mörders bei einem Mitglied des Deutschen Bundestages verhöhnt seine Opfer“, kritisierte der Innenexperte. Die Linkspartei „macht sich in ihrem Kampf gegen den Rechtsextremismus unglaubwürdig, wenn sie gleichzeitig ehemalige Linksterroristen und Mörder bei sich beschäftigt.“

Aus Dehms Fraktion kommen unterschiedliche Reaktionen. „Instinktlos“ nennt ein namentlich nicht genanntes Mitglied die Entscheidung des Kollegen, Klar zu beschäftigen. Doch die Linken-Abgeordnete Halina Wawzyniak entgegnet auf solche Kritik: Der Umgang mit entlassenen Strafgefangenen eigne sich nicht, „um ihn kurz vor anstehenden Wahlen politisch zu skandalisieren.“ Ein Arbeitsplatz sei „ein wichtiger Teil zur Resozialisierung“. 

Dehm, der barmherzige Samariter, ein Wohltäter, der sich um die Integration des ehemaligen Strafgefangenen in die bürgerliche Gesellschaft verdient macht und einen prekär Beschäftigten in Lohn und Brot bringt? Zweifel an dieser Version sind angebracht.

Schließlich gehört der ehemalige europapolitische Sprecher der Linksfraktion „wie Ulla Jelpke zu den aus dem Westen stammenden Personen, die nicht nur in enger Verbindung zum linksextremistischen Milieu stehen, sondern es auch repräsentieren“, so die Politikwissenschaftler Eckhard Jesse und Jürgen P. Lang („Die Linke – eine gescheiterte Partei?“). Berührungsängste mit dem Umfeld der RAF hatten die Linksaußen-Leute ohnehin noch nie. So berichtete der Focus 1996, Dehm habe laut Stasi-Akten in den siebziger Jahren Kontakt „zur westdeutschen Terrorszene“ gehabt. Dehm sei mit der mutmaßlichen Baader-Meinhof-Sympathisantin Brigitte Heinrich bekannt gewesen. Heinrich sei „praktisch die Untermieterin“ Dehms, schrieb die Stasi.

Der damalige Sozialdemokrat Dehm  – Verfasser der SPD-Wahlkampfhymne  „Das weiche Wasser bricht den Stein“ – bezeichnete die Stasi-Akten als „Lügen-Material“. Allerdings soll Dehm von 1971 bis 1978 unter den Decknamen „Diether“ und „Willy“ Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Hauptabteilung XX/5 der DDR-Staatssicherheit gewesen sein. Als die Frankfurter CDU-Politikerin Erika Steinbach 1990 dem seinerzeitigen SPD-Bundestagskandidaten Dehm dessen Stasi-Verstrickungen vorgeworfen hatte, ging dieser noch juristisch gegen die Behauptung vor. Steinbach mußte eine Unterlassungserklärung unterzeichnen. 1996 tauchten dann Akten der Hauptabteilung XX/5 auf, aus denen hervorging, daß Dehm „auf Basis der politischen Überzeugung“ die Stasi mit Informationen aus dem SPD-Milieu versorgt hatte. Am 1. August 1996 hob das Landgericht Frankfurt den „Maulkorb“ gegen Steinbach auf. Dehm zog seinen Berufungsantrag zurück, nachdem er mit dem Versuch gescheitert war, die Herausgabe seiner Stasi-Akte durch die Gauck-Behörde an das Oberlandesgericht Frankfurt mit einer einstweiligen Anordnung zu verhindern. 

Den aktuellen Fall kommentierte Erika Steinbach gegenüber der JF: „Der Vorgang wundert mich nicht. Herr Dehm hatte ja gute Kontakte in die DDR. Und die RAF erhielt wiederum Rückendeckung aus der DDR. Insofern finde ich das Ganze wenig erstaunlich. Erstaunt bin ich lediglich über seine Frechheit.“

Auch Dehms Mitarbeiter Klar hatte gute berufliche Kontakte zu den Schlapphüten Ost. 1979 reist er mit weiteren RAF-Mitgliedern in die DDR zu einem Treffen mit den Stasi-Offizieren der Abteilung XXII – Terrorismusabwehr (!). Im Forsthaus Briesen („Objekt 74“), einer Art „terroristischer Robinson-Club“, wurde der ehemalige Wehrdienstverweigerer an der sowjetischen Panzerfaust RPG-7 ausgebildet. Zur Vorbereitung des Attentats auf den US-General Frederick Kroesen in Heidelberg, das dieser allerdings überlebte. In Westdeutschland lief die Friedensbewegung, in der sich auch Diether Dehm, Künstlername „Lerryn“ (eine Mischung aus Larry und Lenin) engagierte, Sturm gegen die geplante Nachrüstung und den Nato-Doppelbeschluß. Und auf das Feindbild USA und Nato setzte auch die Rote Armee Fraktion. Der DDR konnte das nur recht sein.

Das Feindbild Kapitalismus/Imperialismus hat sich bei Dehm wie Klar erhalten. So wird also die Internetseite des marxistischen Hardliners Dehm, dessen Fernziel es ist, „Konzerne und Großbanken zu vergesellschaften“,  betreut von demjenigen, der 1977 den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto ermordete und kurze Zeit später an der Entführung und Ermordung des Mercedes-Managers Hanns-Martin Schleyer maßgeblich beteiligt war. Und noch immer „die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden“ (Klar) erhofft.