© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Hilfesuchende Blicke gen Washington
Türkei: Der Kampf gegen den Terror, gegen Kurden, Assad und Putin setzt Ankara zunehmend unter Druck
Marc Zoellner

Wieder zerreißen Explosionen die abendliche Andacht in der Türkei, und wieder trifft der Terrorismus gerade die leidgeplagte türkische Hauptstadt. Ausgerechnet Ankara, dessen Bevölkerung noch immer die Narben vom Schrecken des blutigen Attentats des Islamischen Staats spürt.  Mitte Oktober vergangenen Jahres hatten eingeschleuste Selbstmordattentäter über einhundert Friedensdemonstranten vor dem Hauptbahnhof kaltblütig ermordet.

Diesmal war das türkische Militär Ziel des Terrors, als vergangenen Mittwoch unweit des Parlamentsgebäudes eine Autobombe neben einem passierenden Armeekonvoi detonierte. Unter den 28 Opfern befanden sich neben zwei Zivilisten auch 22 Piloten der türkischen Luftwaffe. 

Premier Davutoglu sieht PKK als Drahtzieher

Zwei Tage später traf das erste Bekennerschreiben ein. „Am 17. Februar 2016 schlugen wir gegen die faschistische türkische Armee zu“, schrieben die marxistischen Kurdischen Freiheitsfalken (TAK) auf ihrer Netzseite. „Das war unsere Rache für die Kurden, die in Cizre vom Faschisten Erdogan und seiner Bande getötet und verbrannt worden sind.“

Beinahe zeitgleich zu dem Schreiben explodierte ferngezündet am Straßenrand im südtürkischen Diyarbakir eine Autobombe und tötete sechs Soldaten. Eine weitere Bombe, ein mit 500 Kilogramm Sprengstoff beladener Transporter, konnte noch rechtzeitig ausfindig gemacht sowie entschärft werden.

Umfassende Verhaftungswellen erfolgten als erste Reaktion auf die neuerliche Bedrohung durch den linksextremen Terrorismus. In Diyarbakir nahmen Beamte zwei der Tat verdächtigte Sympathisanten der kurdischen Untergrundbewegung PKK fest, in Ankara gleich zwei Dutzend ihrer Mitglieder.

„Wer auch immer diese grauenhaften Anschläge gegen unser Land, unsere großartige Nation und unsere Demokratie einfädelte und anstiftete“, verkündete Premier Ahmet Davutoglu am Abend nach dem Terroranschlag von Ankara, „wird seine Ziele niemals durchsetzen können.“ Das Bekennerschreiben der TAK jedoch ignorierte Davutoglu in den Folgetagen. „Es ist sehr klar ermittelt worden, daß dieser Terroranschlag das Werk von PKK-YPG ist“, erklärte der Premier die Richtung der Untersuchungen. Was auf den ersten Blick verwunderlich scheint, denn auch die TAK ist in der Türkei keine unbekannte Größe.

Nach eigenen Angaben im Juli 2004 aus der PKK hervorgegangen, mit welcher sie sich ideologisch zerstritten hatten, machten die Kurdischen Freiheitsfalken mit überraschenden Anschlägen insbesondere in Istanbul immer wieder von sich reden. Zu diesen gehörten Selbstmordanschläge wie jener vom Oktober 2010, als ein TAK-Anhänger sich auf dem Taksin-Platz in einer Gruppe von Polizisten in die Luft sprengte und 32 Menschen zum Teil schwer verletzte. Zuletzt beschossen TAK-Militante im Dezember 2015 den Istanbuler Flughafen mit Mörsergranaten.

Im Gegensatz zur PKK nehmen die Kurdischen Freiheitsfalken dabei auch wissentlich zivile Opfer in Kauf. „Tourismus ist eine der wichtigsten Quellen, aus denen sich dieser schmutzige Krieg [der Türkei gegen die Kurden] finanziert“, erklärt die TAK im Bekennerschreiben ihre Strategie. „Deswegen ist er unser Hauptziel, welches wir zerstört sehen wollen. Wir warnen ausländische und einheimische Touristen davor, die Tourismusgebiete der Türkei zu besichtigen.“

Doch trotz der klaren Worte der Kurdischen Freiheitsfalken steht für die türkische Regierung zweifelsfrei fest, daß die TAK lediglich als Alias für die PKK und für diese sowie die syrische YPG im Kampf gegen den türkischen Staat fungiert. „Gleichwohl die PKK und die YPG sich weigern, die Verantwortung zu übernehmen, bezeugen die Beweise des Innenministeriums und der Geheimdienste, daß der Terrorangriff von Ankara von diesen Gruppen ausgeführt worden ist“, erklärte der türkische Präsident Recep T. Erdogan. „Ich glaube, daß dieser Angriff unsere Verbündeten von der wirklichen Erscheinung dieser Terrorgruppen überzeugen wird.“

Gleichzeitig forderte Erdogan die Vereinten Nationen auf, die syrische Partei der Demokratischen Union (PYD), den politischen Arm der prokurdischen YPG-Miliz, als terroristische Organisation zu listen sowie auf kommende Aktionen des türkischen Militärs gegen die syrische Widerstandsgruppe mit Verständnis zu reagieren. „Die Türkei wird ihr Recht nutzen, über die derzeitigen Angriffe hinaus sämtliche terroristischen Gefahren zu erfassen, einschließlich der PYD sowie dem Islamischen Staat“, verkündete Erdogan vergangenen Samstag.

Ankara fordert Solidarität  von westlichen Partnern

Unterstützung erhofft sich die Türkei dabei gerade von den Vereinigten Staaten, welche bislang den kurdischen Widerstandsgruppen gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad sowie den Islamischen Staat mit Waffen und Finanzen logistisch Beihilfe leisteten. „Das einzige, was wir von unserem US-Verbündeten jetzt noch erwarten“, erklärte Davutoglu, sei die Unterstützung der Türkei „ohne Wenn und Aber“. Wenn ein Terrorschlag das Leben von 28 türkischen Bürgern koste, rechne er damit, daß die USA sagen: „Jede Bedrohung der Türkei ist eine Bedrohung von uns selbst.“

Die Türkei gerät zunehmend in die Defensive: Im Süden des Landes werden immer wieder als Flüchtlinge getarnte Terroristen des IS aufgegriffen. Zudem wachsen die Spannungen mit Rußland. Nato-Partner Ankara fordert einen Stopp der russischen Bombardements gegen die turkmenischen Rebellen in Syrien. Moskau dagegen sucht die Gespräche mit den USA für einen stabilen Waffenstillstand in Syrien und rüstet parallel dazu seine Militärbasis im armenischen Erebuni mit vier modernen Kampfflugzeugen vom Typ MiG-29 auf. Nur vierzig Kilometer von der türkischen Grenze entfernt sind dort derzeit zwischen vier- bis fünftausend russische Soldaten stationiert.