© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn


In dem neuen Western Quentin Tarantinos, „The Hateful Eight“, erklärt der schwarze Kopfgeldjäger Major Marquis Warren, gespielt von Samuel L. Jackson, seine Lebensmaxime: „Ein Schwarzer kann sich nur sicher fühlen, wenn die Weißen entwaffnet sind.“ Selbst versuche ich es mit einem entwaffnenden Lächeln – das reicht nicht, wie sich unversehens zeigt. Als ich in der Torstraße in Berlin-Mitte durch das große Fenster eines Bekleidungsgeschäfts blicke, dreht sich der schwarze Mann im Laden plötzlich halb zu mir, zückt blitzschnell eine imaginäre Pistole und schießt mich über den Haufen. Sichtlich befriedigt steckt er seinen Colt wieder in das Holster. Was zählt, ist das Kopfkino.


Auf dem Rückweg gerate ich in die Dreharbeiten einer Filmszene mit dem erklärten Schmuckeremiten Friedrich Liechtensten, der hier gerade einen Werbespot für Tele 5 dreht. Während die Ausstrahlung dieses Werbefilms erst im März erfolgt, ist ein Meisterwerk des Kopfkinos – Klaus Lemkes dreiminütiger, wortloser Trailer „Unterwäschelügen“, zu sehen auf Youtube – bereits Teil der unerhörten deutschen Filmgeschichte, wie der auf der Berlinale präsentierte Dokumentarfilm „Verfluchte Liebe deutscher Film“ von Dominik Graf und Johannes S. Sievert demonstriert. Darin wird ein Fazit des legendären Fritz Kortner aus den 1950er Jahren zitiert: „Das Leben ist zu kurz, um einen deutschen Film anzusehen.“ Das Autorenkino allerdings war dann nicht die Lösung, sondern das Problem, so Lemkes Diktum: „Der deutsche Film war wirklich fabelhaft – bevor die Oberhausener kamen.“


Was bleibt, ist die Dichtung durch das „Auge Hollywoods“: Michael Ballhaus, der als Kameramann den stilprägendsten Filmemachern seiner Zeit sowohl in Deutschland (Fassbinder) wie in den USA (Scorsese) zu ihrem eigentlichen Werk verhalf. Im Berlinale-Palast erklärt Intendant Dieter Kosslick, das Festival fühle sich geehrt, Ballhaus den Goldenen Ehrenbären zu verleihen. Nach Außenminister Frank-Walter Steinmeiers Bekenntnis, ihm habe die „‘Ehe der Maria Braun’ die Augen über unser Land geöffnet“, und den Dankesworten der Schauspielerin Hanna Schygulla würdigt Regisseur Tom Tykwer das „Tanzstück“ von Ballhaus’ Kamera, welche die Protagonisten „wie ein Lasso“ zusammenbringe. Als Ballhaus die Bühne betritt, bekommt er stehende Ovationen. Zu den „Gangs of New York“, die im Anschluß laufen, erklärt Ballhaus, die Amerikaner ängstigten sich bis heute davor, „in diese Zeit“ – die blutige Entstehungsgeschichte ihrer Nation – „hineinzugucken.“