© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Auskunft zum eigenen Leben
Kino: Sieben Dokumentarfilmer aus der DDR widmen sich ihrer Herkunft
Sebastian Hennig

Sieben Regisseure der Jahrgänge 1946 bis 1953 berichten im Episodenfilm „Als wir die Zukunft waren“ von ihrer Kindheit und Jugend während der Aufbaujahre im östlichen deutschen Teilstaat. Das Projekt von Barbara Etz geht zurück auf Gespräche am Küchentisch bei einem Treffen der Dokumentarfilmer 2013 in der Uckermark. Die Autorin und Regisseurin Etz meint dazu: „Je weiter wir uns von diesem Wendepunkt 1989 entfernen, desto nachhaltiger wird das Interesse an der Zeit davor. Bei den Älteren ist es die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, bei den Jüngeren die Neugierde auf das Leben der Elterngeneration, deren Vergangenheit in die Gegenwart der neuen Generation hineinwirkt.“

Dafür werden im Film sowohl die Synchronizität historischer Ereignisse zum eigenen Lebenslauf herangezogen, die Suche nach familiären Verwurzelungen, aber auch schlichte Anekdoten. Die jugendlichen Väter kommen meist aus der Kriegsgefangenschaft. Sie arrangieren sich so gut es geht. Heftige biographische Haken werden geschlagen, so vom Parteifunktionär zum „Republikflüchtling“ wie beim Vater von Ralf Marschalleck. Für die kurzen Filmberichte sind allein die Zeichen bestimmend, die sich dadurch in die Leben der Heranwachsenden einprägten. Hier geben die notorischen Verwerter anderer Leben mit filmischen Mitteln einmal Auskunft über sich selbst.

Zu Beginn, Ende und zwischen den Episoden sind atmosphärische Bruchstücke der Arbeitsgespräche zu sehen. Dem Zukunftsoptimismus habe man damals schon nicht getraut, ist da zu vernehmen und zugleich vom verbreiteten Mißtrauen gegen den Westen. Sehr schweigsam bleibt zumeist Hannes Schönemann. Von ihm stammt der fünfte der sieben Kurzfilme, und er trägt die Geschichte mit der größten existentiellen Wucht vor. Als der Vater in den Westen ging, wurde die Mutter zur Strafe an einen Arbeitsplatz versetzt, der sie letztlich wohl umbrachte.

Schönemann zeigt keine Menschen auf alten Fotos und macht keine sentimentalen Ortstermine. Einmal kommt kommentarlos ein Ensemble verwahrloster Gebäude ins Bild, wobei es sich um das einstige Kinderheim handeln könnte, in dem er mit seinen Schwestern leben mußte. Zur Erzählung der brüchigen Knabenstimme sind Naturbilder der Ostseeküste zu sehen, beschneite Weidenstümpfe, die weite Wasserfläche. Denn bei allem Leid galt: „Das Meer war immer da.“ Beim Bericht vom Tod der Mutter zaust ein Sturm die Landschaft.

Peter Kahane stammt aus einer jüdisch-kommunistischen Emigrantenfamilie. Vor und nach 1989 hat er sozialistische Kinderfilme wie „Ete und Ali“ und „Die rote Zora“ gedreht. Hier verwendet er Animationen für die Kindergeschichte über sich selbst. Da springt er mit den Freunden durch die Ruinen und spielt Krieg. Immer wieder bricht das Kino selbst mit breit bewegter Leinwand in die frühen Lebensläufe ein, Reiterfilme in Ost und West. Im Kinosaal in Pankow galoppiert die Rote Reiterarmee, während im Filmtheater des Onkels in Dahlem lässige Cowboys traben.

Thomas Knauf fährt ein Jahr nach dem Auftritt der Rolling Stones nach Warschau. Die Stadt ist voller Hippies. Im chinesischen Kulturzentrum sieht er sich einen dreistündigen Film an, der den Genossen Mao beim Bad im Jangtse zeigt. Als das Licht angeht, findet er sich allein mit zwei West-Berliner Studenten. Weil in diesen Augusttagen des Jahres 1968 die Panzer nach Prag rollen, gehen die drei zum tschechoslowakischen Botschafter und überreichen ihm Blumen. Die anschließende Haft hat für die jungen Männer ganz unterschiedlichen Geschmack. Die Berliner kosten ein prickelndes Abenteuer. Der Ostler hat möglicherweise sein gesamtes weiteres Leben verpfuscht. Zuletzt bekennt er: „Ich bin, was ich wurde, ein Kind des Sozialismus, das nicht aus seiner Haut kann.“

Der Vater von Andreas Vogt war Buchhändler und verhinderte während des Aufstandes am 17. Juni 1953 eine Bücherverbrennung, indem er empfiehlt, die Lenin- und Stalinbüsten im Nachbarraum zu nehmen. Im historischen O-Ton der DDR vernehmen wir von den amerikanischen Terrorfliegern, die Dessau zerstörten, und nehmen per Fotoalbum an den geheimnisvollen Sommernachmittagen der wilden Badegesellschaft an der Elbe teil.

Ralf Marschalleck ist zurückgekehrt in das kleine brüchige Haus der Großmutter in Weimar. Er hockt auf der hölzernen Stiege und lauscht ihrem Knarren nach. Die Mutter von Lars Barthel hängt an der DDR mit allen Fasern. Sie ist eine Gläubige des Sozialismus. Ein Paket der Westverwandten hat sie stolz wieder zurückgeschickt. Gabriele Deneckes Eltern sollten in den fünfziger Jahren den Sozialismus ins Dorf bringen. Als die Wende kommt, ist sie so alt, wie ihr Vater damals war.

Es sind nicht die Höhepunkte, sondern die Grundierungen des Lebens, die in diesen Filmen gezeigt werden. Im delikaten Umgang mit dem eigenen Leben offenbart sich auch die filmische Handschrift. Mancher beginnt da zu kritzeln, ein anderer kalligraphiert bemüht oder er schreibt plötzlich alles in Großbuchstaben.