© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Leih dir einen Segensverleiher
Aus der Kirche ausgetreten, aber bei der Hochzeit ganz ohne geistlichen Beistand? Die Nachfrage erzeugt das Angebot!
Ronald Berthold

Haben Sie es kürzlich auch wieder registriert? Weihnachten entdecken viele den Christen in sich. Die Kirchen sind rappelvoll. Jeder will Lukas hören – ohne ein „Es begab sich aber zu der Zeit“ ist das Fest irgendwie nicht feierlich. Und ein Krippenspiel muß auch sein. Dicht gedrängt sitzen die Menschen auf den Bänken und singen „Stille Nacht, heilige Nacht“. Um bei diesem Weihnachtsgottesdienst dabei zu sein, müssen Sie nicht Mitglied der Kirche sein. Alle dürfen rein. An Ostern ebenso. Überhaupt an allen Sonntagen. Oder haben Sie schon einmal an der Pforte einen Pfarrer gesehen, der kontrolliert, ob Sie auch die Kirchensteuer bezahlt haben? Wir sind ja hier schließlich nicht beim Staatsfernsehen.

Genauer als an hohen Festtagen nehmen es katholische und protestantische Offizielle allerdings bei Hochzeiten und Todesfällen. Wer kein Mitglied ist, der wird auch nicht christlich getraut oder beerdigt. Und doch überkommen viele – wie zu Weihnachten und Ostern – bei solchen Gelegenheiten sentimentale Gefühle. Ein Pfarrer sollte dabei sein und die richtigen Worte finden. Was nun?

Gepfefferte Preise für eine halbstündige Rede

Mieten Sie sich einfach einen Pastor! Kein Witz, tatsächlich gibt es die Internet­domain „rent-a-pastor“. 60 freie Redner, fast ausnahmslos gelernte Prediger und Pfarrer aus allen Teilen Deutschlands, bieten sich hier an.

Nehmen wir zum Beispiel Christian H. aus Hamburg. Der Vater von drei Kindern war im vergangenen Jahr der meistgebuchte Leihpastor auf der Reeperbahn der Nebenberufschristen. Im wirklichen Leben arbeitet er als Redakteur und Projektmanager in einer Medienagentur. Davor hat der studierte Theologe irgendwann einmal in Hamburg und Hannover als Pastor gearbeitet. Nicht schlecht, wenn man sich heute einen kleinen Nebenverdienst ermöglichen möchte.

Denn ähnlich wie bei der Kirchensteuer geht es natürlich auch hier um den schnöden Mammon. Aus christlicher Nächstenliebe läßt sich kein Pastor vermieten – und verramschen schon gar nicht. Die Preise, die die Theologen hier aufrufen, schwanken zwischen 200 und 2.000 Euro. Angemessen sei, so heißt es auf der Internetseite, eine Leihgebühr von 700 bis 1.200 Euro.

So viel für eine halbstündige Rede? Penibel rechnen die Verleiher auf, daß es in Wahrheit ja um fünf Stunden gehe: Eine Stunde beim Sektempfang herumstehen, sich auf die Fotos mit dem Hochzeitspaar drängeln, zwei Stunden An- und Abfahrt, vorher da sein, um letzte Absprachen zu treffen und so weiter. Außerdem: „Qualität hat ihren Preis.“

Insgesamt habe der Leihpfarrer sogar 25 Stunden zu opfern. Schließlich müsse er 120 Minuten das Paar kennenlernen, dann 15 Stunden lang die Predigt entwerfen und auch noch ein paar E-Mails schreiben. Aber dann kommt die ultimative Begründung, die sicherlich auch jene Pseudochristen überzeugt, die sich mal einen richtigen Pfarrer gönnen wollen: „Schon in der Bibel heißt es, daß ein Arbeiter seines Lohnes wert ist – das gilt selbstverständlich auch für denjenigen, dem Sie den verantwortungsvollsten Teil Ihrer Hochzeit anvertrauen – Ihrer Traumhochzeit.“

„Du sollst dem Ochsen  nicht das Maul verbinden“

Für die vermutlich nicht ganz so bibelfesten Besucher dieser Seite verweisen die Segensverleiher-Verleiher auf 1. Timotheus 5:18, ohne den Vers allerdings zu zitieren. Vollständig heißt er: „Denn es spricht die Schrift: ‘Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, der da drischt’ und ‘Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert.’“

Daß mit dem Ochsen vergessen wir lieber ganz schnell wieder – schließlich könnte das die Kunden doch etwas verunsichern. Auf jeden Fall hat es etwas mit einem lukrativen Geschäft zu tun. Denn schon mit zwei Predigten kann der Leihprediger so viel Geld verdienen wie ein gewöhnlicher Pfarrer in der Atheisten-Hochburg Berlin. Denn das Durchschnittsgehalt eines Pastors in der Hauptstadt liegt bei 2.465 Euro.