© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

König Kurt und Stanislaw der Tragische
Sachsen: Nach den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen steht der Freistaat als Hort des Rechtsextremismus am Pranger
Paul Leonhard

Die Pegida-Demonstrationen sind Ausübung eines ganz entscheidenden Grundrechts, nämlich demonstrieren zu dürfen.“ Ein Satz, den der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in einem Interview mit der Zeit zu einem Zeitpunkt sagt, zu dem einer seiner Nachfolger, der frühere CDU-Blockparteifunktionär Stanislaw Tillich, Menschen das Menschsein abspricht und einen „starken Staat“ verspricht. Und während Tillich und seine Regierungsmannschaft vor der beispiellosen Anti-Sachsen-Kampagne der deutschen Medien einknicken, gibt „König Kurt“ Kontra: Es gebe „genügend Gründe nicht nur in Sachsen, sondern in Ostdeutschland, warum die Bevölkerung über diesen starken Flüchtlingszustrom beunruhigt ist“.

Die Pegida-Bewegung ist der Politik noch immer ein Rätsel. Selbst der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt, der die Bewegung seit 2015 analysiert, kann sie weder in der Landeshauptstadt noch in der Gesamtbevölkerung „wirklich einordnen“. Um die Bewegung zu verstehen, muß man die von Pegida geäußerten Forderungen und Sorgen nicht teilen. Hier gehen Menschen auf die Straße, weil sie das politische Handeln der Regierenden nicht verstehen, Existenzängste haben und wütend sind, weil sie permanent in den Medien beschimpft werden. „Pegida in den Medien und Pegida in Dresden vor Ort sind zwei verschiedene Dinge“, heißt es in einem Leserkommentar auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur.

Die tragischste Rolle spielt aktuell wiederum Stanislaw Tillich. Der Christdemokrat, bereits in der Nomenklatur der DDR aktiv gewesen, verfügt nicht annähernd über den politischen Spürsinn und die Analysefähigkeiten Biedenkopfs. Der hat ihn bedrängende Journalisten immer in die (auch intellektuellen) Schranken gewiesen, Tillich springt dagegen über jedes Stöckchen, das man ihm hinhält. Das erste war eine Großdemonstration gegen Pegida, die er als Fest im Zeichen von „Weltoffenheit und Toleranz“ im Januar 2015 in bester SED-Manier organisieren ließ. Nun fällt er in den Chor der Linkspartei und einiger Medien ein, der Freistaat habe ein Rechtsextremismusproblem.

Wider besseres Wissen stellt er einen Zusammenhang zwischen Pegida und den Ereignissen in Bautzen und Clausnitz her: „Wir haben eine Gruppe von Menschen, die Haß und Fremdenfeindlichkeit säen.“ Die sächsischen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus hätten nicht gereicht. Gelobt wird er dafür nicht, stattdessen wird ihm von jenen ein „defektes Demokratieverständnis“ bescheinigt, für die das eigentliche Grundübel ist, daß Sachsen seit 1990 mehrheitlich konservativ wählt.

Wenn Sachsen ein Extremismusproblem hat, dann nach Einschätzung von Beobachtern vor allem eines am linken Rand. Im SPD-regierten Leipzig werden seit Jahren linksextremistische Krawalle geduldet. Wirksamstes Mittel gegen das Erstarken linksextremistischer Vereine durch staatliche Förderung war die bis 2014 gültige Extremismusklausel, die ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung forderte. Abgelehnt wurde sie von jenen, die heute Sachsen beschimpfen.

Eine von der Zeit veröffentlichte „Deutschlandkarte der Gewalt“, nach der es in Sachsen besonders viele Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben habe, lehnt Biedenkopf ab: „Es ist sehr schwierig, eine Statistik dieser Art politisch auszuwerten.“ Auch habe er „immer wieder das Gefühl“, daß man diese Übergriffe „politisch auflädt“. Ein Haus anzuzünden, sei aber keine politische Erklärung, sondern ein Verbrechen; das aber „sofort der politischen Entwicklung des Landes zuzurechnen, halte ich für fragwürdig“.

Es sei wichtig, daß die Politik mit den verunsicherten Menschen Gespräche führe, ihnen die Situation ehrlich erläutere und die Wahrheit sage, so Biedenkopf. Das sieht der sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Jurk, früher Vize-Premier, ähnlich. Er fordert eine „offene Diskussion über die Möglichkeiten und besonders die Grenzen staatlichen Handelns.“ Gleichzeitig müßten die Menschen aber auch sehen, daß etwas passiert bei der Bewältigung der Krise, sagte Jurk im Focus. Er sehe ein riesiges Defizit an demokratischer Beteiligung: „Deswegen müssen wir Demokratie vorleben – als etwas Positives.“

Die Pegida-Anhänger selbst bekennen sich durchaus zur Demokratie. 74 Prozent der Befragten halten dies für „eher etwas Vorteilhaftes“. „Sie merken, daß die Bundesregierung ihren Kurs korrigiert, denn vieles von dem Asylpaket II, das vom Bundestag beschlossen wurde, entspricht Forderungen der Pegida“, sagte Patzelt gegenüber der Deutschen Welle. Da die Pegida-Leute merken würden, daß das politische System ein Instrumentarium bietet, um die Politik beeinflussen zu können, wachse ihre Zufriedenheit mit der Demokratie.