© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Die Gentlemen bitten zur Kasse
Energiewende: Fünf Jahre nach Fukushima und dem endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie fällt die Bilanz ernüchternd aus
Christian Schreiber

Es liest sich wie eine Erfolgsgeschichte: „Von der Energiewende profitieren wir alle: die mit der Kernkraft verbundenen Risiken entfallen und der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen sinkt. Unser Land wird unabhängiger von Energieimporten aus dem Ausland“, heißt es in einem Resümee der Bundesregierung. Als Folge der Tsunamikatastrophe im japanischen Fukushima mit anschließenden schweren Störfällen im Kernkraftwerk Daiichi am 11. März 2011 hatte der Bundestag mit über neunzigprozentiger Zustimmung den endgültigen Atomausstieg beschlossen. 

Dies sorgte für erneuten – und verstärkten – Rückenwind in Sachen Energiewende: weg von Atomkraft und fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und damit zu einer risikoarmen und CO2-freien Energieversorgung. International wurde das deutsche Mammut-Projekt von Beginn an kritisch beäugt. Der damalige Umweltminister Peter Altmaier (CDU) sprach „von der Dimension der Mondlandung oder der deutschen Einheit“. 

Das Ziel der Energiewende ist es, bis zum Jahr 2050 Energie in Deutschland hauptsächlich aus regenerativen Quellen wie Wind- und Wasserkraft, Sonnenenergie, Geothermie oder nachwachsenden Rohstoffen zu beziehen. Außerdem soll der Energieverbrauch durch sparsame und effiziente Nutzung deutlich reduziert werden. 

Fünf Jahre später fällt die Bilanz durchwachsen aus. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor liegt Deutschland auf Zielkurs. Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch lag 2014 bei 27,4 Prozent und ist im ersten Halbjahr 2015 auf über 30 Prozent gestiegen. Doch das Versprechen der Regierung, der Strompreis werde die Bevölkerung nicht so arg belasten, konnte nicht gehalten werden. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien folgt bislang einem simplen Muster: Jede neue Ökostromanlage wird gefördert, für den produzierten Strom erhält der Betreiber eine feste Einspeisevergütung – garantiert für 20 Jahre. 

Energiekosten sollten       beherrschbar bleiben

Durch diese Art der Förderung schiebt Deutschland bereits jetzt einen gewaltigen Kostenberg vor sich her, seine rechtliche Grundlage findet sich im Gesetz über Erneuerbare Energien (EEG-Umlage). Am Börsenpreis für die Strombeschaffung liegen die steigenden Preise übrigens nicht. Dort fällt der Preis konstant, weil immer mehr geförderter Ökostrom auf den Markt drängt. Der Börsenpreis beträgt inzwischen nur noch 3 bis 4 Cent, das ist etwa halb so viel wie noch 2011. Die Strombeschaffung macht aber nur etwa ein Viertel des Endpreises aus. Mehr als die Hälfte sind staatliche Umlagen – und hier gibt es 2016 gleich mehrere Erhöhungen. 

Die EEG-Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energie steigt um knapp 0,2 Cent auf 6,354 Cent pro Kilowattstunde. Fast 23 Milliarden Euro müßten die Stromkunden damit 2016 für die Erneuerbaren berappen, rechnet der Branchenverband BDEW vor. „Das verdeutlicht den nach wie vor vorhandenen Reformdruck bei der Erneuerbaren-Förderung“, kritisiert BDEW-Chefin Hildegard Müller gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. 

Für den Ausbau der Erneuerbaren werden 2016 folglich 22 Milliarden Euro auf Verbraucher und Unternehmen abgewälzt. Damit steigt die Ökoumlage für die deutschen Stromkunden auf Rekordhöhe. Ein vierköpfiger Haushalt zahlt somit rund 270 Euro im Jahr für die Umsetzung der Energiewende. „Die Energiewende ist mit der Annahme gestartet, daß die Energiekosten hierzulande beherrschbar bleiben und international in vergleichbarem Maße ansteigen. Beides hat sich nicht bewahrheitet“, klagt Barbara Minderjahn, Geschäftsführerin des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), gegenüber dem Handelsblatt. 

Ein zentrales Problem der Energiewende ist die etwas naive Annahme, nach dem Atomkraft-Aus könnte Deutschland langfristig auch auf Kohle- und Gaskraftwerke verzichten.  Zahlreiche Kraftwerke arbeiten mittlerweile defizitär, Pläne zur Errichtung neuer Anlagen bleiben in den Schubladen liegen. „Die Lage ist dramatisch, ohne herkömmliche Kraftwerke wird es auch künftig nicht gehen“, sagt BDEW-Vorstand Müller. 

Doch die deutschen Stromkonzerne stecken in einer tiefen Krise. Der Abschied von der Atomenergie läuft schleppend, derzeit streitet man sich mit der Bundesregierung über die Kosten des Rückbaus. Die Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben in den vergangenen Jahren insgesamt 38,3 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet, diese liegen allerdings nicht auf der hohen Kante, sondern stecken teilweise in den Anlagen selbst oder in sonstigen Firmenbeteiligungen. Bis Ende des Jahrhunderts könnten Kosten von nahezu 170 Milliarden Euro auf Deutschland hinzukommen – inklusive der Aufwendungen für eine dauerhafte Endlagerung. 

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat den Großkonzernen unlängst vorgeworfen, sie hätten den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg in das Ökostrom-Geschäft verpaßt. Doch Konsequenzen wird es wohl keine haben. Bleiben die Konzerne auf den Kosten sitzen, droht ihnen die Pleite – Zehntausende von Mitarbeitern stünden auf der Straße. Ein Szenario, welches sich der Staat eigentlich nicht leisten kann. 

Doch die Stimmung ist auch an anderen Stellen schlecht. Die Atomkrise von 2011 spülte Winfried Kretschmann von den Grünen auf den Regierungsstuhl in der Stuttgarter Staatskanzlei. Gemeinsam mit dem Juniorpartner SPD wollte er Baden-Württemberg zu einer Modellregion in Sachen Energiewende machen. „Wir wollen bis 2020 mindestens 10 Prozent unseres Stroms aus heimischer Windkraft decken“, haben Grüne und SPD sich 2011 in den Koalitionsvertrag geschrieben. Davon ist das Land noch weit entfernt. 2014 verharrte der Wert bei 1,2 Prozent. Derzeit gehe die Tendenz zwar nach oben, doch Kretschmann gibt zu: „Es ist ein mühsamer Weg durch die Ebenen.“ Denn vor allem die Bevölkerung tut sich schwer mit der Energiewende. Atomstrom war günstig und unsichtbar, Solar-Anlagen und Windräder stellen dagegen Eingriffe in die Natur dar. Teilweise zerlegen sich vor Ort ganze Ortsverbände der Grüne; erbosten Atomkraft-Gegnern stehen ebenso vehemente Windkraft-Kritiker gegenüber. 

Viele Stadtwerke               stehen vor der Pleite 

Überhaupt ist die mangelnde Infrastruktur ein zentrales Problem der Energiewende. Um den Ökostrom bestmöglich fördern zu können, braucht es neue Stromtrassen in der Republik. Doch die Überlandleitungen stören das Landschaftsbild. Nun entschied man sich dazu, die Unter-Tage-Lösung zu bevorzugen. Doch auch hiergegen formiert sich Protest. „Erdleitungen zerstören Erdäpfel“, bringt die Mittelbayerische Zeitung die Sorgen einheimischer Landwirte auf den Punkt. Doch die Proteste zeigen ihre Wirkung. Von den 2009 geplanten 1.876 Kilometern neuer Leitungen haben wir Ende 2015 gerade 558 geschafft – das ist enttäuschend“, sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann der Wochenzeitung Die Zeit. Fehlende Leitungen zwängen die Netzbetreiber immer häufiger zu Abschaltungen von Kraftwerken. Das verursache die Kosten, die am Ende der Stromverbraucher tragen müsse.

Es sind nicht die einzigen Kosten, die auf die Bürger zukommen. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Focus droht den Stadtwerken in 23 von 93 Städten mit über 90.000 Einwohnern das Aus. Das habe eine Analyse des Berliner Instituts für den öffentlichen Sektor ergeben. Schuld an der finanziellen Notlage sei die Energiewende. Die Kommunen hätten hohe Investitionen geleistet, um zum Beispiel Gas- oder Kohlekraftwerke zu bauen. 

Weil sich jedoch die Großhandelspreise für Elektrizität im freien Fall befinden, lohne sich das Stromgeschäft für die Stadtwerke kaum mehr. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (früher SPD) spricht angesichts solcher Zustände „von einer unfaßbaren Blauäugigkeit, mit der man dieses Projekt angegangen ist“.





Energie hat ihren Preis

Zu den Steuern und Abgaben, die den Preis für Strom in die Höhe treiben, gehört nicht nur die EEG-Umlage, mit der die Differenz zwischen Einnahmen und Vergütung des Ökostroms finanziert wird. Durch die Offshore-Umlage übernehmen die Verbraucher zu einem Großteil Schadensersatzkosten, die durch den verspäteten Anschluß von Windparks vor der Küste an das Stromnetz an Land entstanden sind. Mit der Umlage nach §19 der Stromnetzentgeltverordnung (NEV) bezahlen normale Verbraucher die Entgeltrabatte für energieintensive Unternehmen.