© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Dreimal sagt das Wahlvolk nein
Schweiz: SVP, CVP, Linke und Grüne können ihre Initiativen nicht durchbringen, lediglich der Gotthardtunnel kann aufatmen
Curd-Torsten Weick

Mit einer derartigen Niederlage hatte die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) dann doch nicht gerechnet. Zwar deuteten bereits die Umfragen vor dem Abstimmungssonntag auf eine Ablehnung der SVP-Durchsetzungs-Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer hin. Doch 58,9 Prozent Neinstimmen?

Noch vor fünf Jahren sah das anders aus. Am 28. November 2010 stimmten die Schweizer per Volksabstimmung über die Ausschaffung von kriminellen Ausländern ab. Unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status sollten Ausländer demnach ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren, wenn sie wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, einer Vergewaltigung, wegen Raubes, Menschen- oder Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt wurden – oder mißbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen. Die Mehrheit der Stimmbürger (52,9 Prozent) und die Mehrheit der Kantone wurde problemlos erreicht. Statt wie bisher 500 könnten bis zu 18.000 verurteilte ausländische Straftäter „endlich ausgewiesen werden“, so SVP-Parteichef Toni Brunner.

 Doch schon ein halbes Jahr später zeigte sich die SVP über die Einführung einer Mindeststrafe von sechs Monaten „entsetzt“. Dies, so der SVP-Generalsekretär Martin Baltisser, führe dazu, daß schon einmal 84 Prozent der kriminellen Ausländer nicht ausgeschafft würden. Im März 2015 stimmte die SVP dann gegen die Einführung einer Härtefallklausel und lancierte die Durchsetzungsinitiative. Nochmals sollten die Stimmberechtigten dafür sorgen, daß „Bundesbern den Volkswillen respektiert“. 

Das Volk enschied anders. Die SVP „bedauerte“ dies und legte nach. Nun müsse eben die von den Gegnern versprochene „pfefferscharfe“ Umsetzung des Ausschaffungsartikels in der Bundesverfassung ihren Realitätstest bestehen. Mit der Gesetzgebung des Parlaments  könnten nun über 3.800 ausländische Kriminelle pro Jahr ausgewiesen werden.

Doch die SVP ist nicht die einzige Partei, die mit ihrer Initiative durchfiel. Mit der knappen Mehrheit von 50,8 Prozent lehnten die Eidgenossen die von der konservativen CVP lancierte Initiative „Abschaffung der Heiratsstrafe“, die die Benachteiligung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber anderen Lebensgemeinschaften aufheben wollte, ab. Auch die „Spekulationsinitiative“ von Linken und Grünen, die ein Verbot spekulativer Geschäfte mit Agrarrohstoffen forderte, stieß auf 59,9 Prozent Ablehnung. Lediglich der Initiative „Sanierung Gotthard-Straßentunnel“, die den Bau einer zweiten Tunnelröhre vorsieht, erhielt ein Ja (57 Prozent).