© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Der kleine Lesesaal der Berliner Bibliothek des Konservatismus ist brechend voll. Etwa 120 Leute sitzen dicht gedrängt, um einen Vortrag über ein Buch zu hören, das 1951 erschienen ist: Ernst Jüngers Essay „Der Waldgang“. Parviz Amoghli – 1971 in Teheran geboren, drei Jahre später siedelte die Familie nach Deutschland über – referierte über den Gegenwartsbezug von Jüngers Betrachtungen zum Widerstand gegen totalitaristische Zumutungen. Tatsächlich ist der „Waldgang“ trotz seines Rentenalters über weite Strecken von atemberaubender Aktualität.

Das beginnt bei dem Jahrhundertautor mit der Beschreibung einer Zeit, in der „ununterbrochen fragenstellende Mächte an uns herantreten“, die nicht von Wißbegier erfüllt seien und keinen Wert auf unseren Beitrag zur Lösung von Problemen legten. Vielmehr näherten sich ihre Fragen einem Verhör an. Die Antworten des Zeitgenossen seien „folgenschwer; oft hängt von ihnen sein Schicksal ab“. Bezogen auf die Gegenwart denke man nur an die vielen Fälle von sozialer Ausgrenzung bis hin zu beruflicher Existenzvernichtung jener, die auf die inquisitorische Frage „Wie hältst du es mit ...?“ vermeintlich „falsch“ antworten. 

Bei Jünger geht es um „Taburäume der plebiszitären Demokratie, über die es nur eine amtliche Meinung gibt und zahllose geflüsterte“, sowie einen „Ort, an dem kein Name mehr stimmte für die Dinge, die sich ereigneten“. Hier denke man an den Euphemismus  „Flüchtlingskrise“ für den ungebremsten Zustrom von Migranten. Jünger schreibt außerdem von einer Macht, die sich „nicht an die Spielregeln zu halten gedenkt“, zugleich aber „Eide abfordert, während sie selbst von Eidbrüchen lebt“. Auch das kommt einem heutzutage nur allzu geläufig vor.

An der Widerstandsfibel fasziniert vor allem der „radikale Individualismus“ (Amoghli); er sei Jüngers Antwort auf den Einheitsmenschen, erläuterte der deutsch-persische Autor, der für Tumult schreibt, die „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“. Der Waldgang, referierte Amoghli in seinem etwas gehetzt wirkenden Vortrag, weise dem freien Einzelnen einen Weg aus dem Dilemma. Sein Ziel sei die Begegnung mit dem eigenen Selbst. Schon Jahrzehnte früher, in „Das Abenteuerliche Herz“ von 1929, hat Ernst Jünger geschrieben: „Man kann sich heute nicht in Gesellschaft um Deutschland bemühen; man muß es einsam tun wie ein Mensch, der mit seinem Buschmesser im Urwald Bresche schlägt und den nur die Hoffnung erhält, daß irgendwo im Dickicht andere an der gleichen Arbeit sind.“