© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Kein bißchen leise
Der Drang nach Schallplatten steigt und steigt – und damit auch die Nachfrage nach Plattenspielern
Ronald Berthold

Auf Vinyl knistert es zuweilen so schön. Und das finden nicht wenige. Die gute alte Schallplatte erlebt ein Comeback. Mit fast 130 Jahren ist sie kein bißchen leise. Inzwischen werden in Deutschland wieder rund zwei Millionen davon im Jahr – hochgerechnet nach den Zahlen der ersten drei Quartale – verkauft. 2015 machte das ein Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum aus, nachdem das Geschäft mit den schwarzen Scheiben bereits 2013 einen Rekord erlebt hatte und um 50 Prozent gewachsen war. Allein in Berlin gibt es mittlerweile wieder 80 Geschäfte, die sich auf den Verkauf von Vinyl spezialisiert haben.

Dem Boom können die Hersteller kaum noch nachkommen. Denn es gibt zu wenige Fabriken. Inzwischen liegt die Wartezeit für die Fertigung einer neuen Platte bei drei Monaten. Vor zwölf Monaten waren es noch vier Wochen. Denn die Zuneigung zur großen, leicht biegbaren Vinylscheibe, die mit spitzen Fingern vorsichtig am Rand zu greifen ist, geht in Deutschland weit über alte Aufnahmen hinaus. Inzwischen veröffentlichen zahlreiche bekannte Künstler ihre neuen Alben auch auf Vinyl – und das in hohen Auflagen. In den Vereinigten Staaten machen sie damit inzwischen sogar mehr Umsatz als mit den angeblich so beliebten Streaming-Diensten.

Vinylpreßmaschinen sind rar gesät 

Daß hierzulande nicht mehr Preßwerke entstehen, um die steigende Nachfrage zu befriedigen, hat einen einfachen Grund: Die nötigen Maschinen stellt niemand mehr her. Denn das lohnt sich nur, wenn große Mengen bestellt werden. Ab 2.000 Stück pro Jahr wäre so etwas rentabel. Doch so groß ist der Markt nun auch wieder nicht. Die Musikindustrie beziffert den Anteil auf 3,1 Prozent. Sicher wäre er größer, gäbe es diese Mangelwirtschaft nicht. So müssen die Produzenten an den alten Geräten herumschrauben wie an einem Oldtimer. Eine Vinylpreßmaschine darf einfach nicht kaputtgehen, weil kein Ersatz zu beschaffen ist.

Anders sieht es bei den Plattenspielern aus. Die Hersteller für Musikanlagen haben sich auf die wachsende Beliebtheit der Technik eingestellt, die mit dem Aufkommen der CD als veraltet galt. Immer mehr bieten an, was früher selbstverständlich war: Kompakt-Anlagen mit Plattenteller und Saphir sind absolut keine Seltenheit mehr. In jedem Elektromarkt können Musik-Fans solche Abspielgeräte erhalten.

Um dem konservativen Lebensgefühl der Schallplatten-Liebhaber entgegenzukommen, werden viele von ihnen im Retro-Look angeboten. Holzfurnier und große Drehknöpfe anstatt Piano-Schwarz und digitaler Anzeigen lassen Erinnerungen an das Aussehen der guten alten Grundig-Geräte aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wach werden. Die Branche spricht von „Nostalgie-Anlagen“. Diese sind bereits ab wenig mehr als einhundert Euro zu bekommen. Mehr als 250 Euro muß niemand dafür bezahlen. Radio und selbst das nun wirklich absolut totgesagte Kassettenlaufwerk gehören inzwischen wieder dazu.

Auch hier scheint ein Trend ablesbar: Viele kramen die Musikcassetten aus ihrer Jugend hervor und wollen die Musik wieder hören, die sie damals, aufmerksam wie ein Schießhund, bei Radio-Hitparaden mitgeschnitten hatten – unvergessen der gute Wolf-Dieter Stubel von NDR 2 („Hallo Fans, hallo Freunde“), der sich mit Reinquatschen in laufende Songs angenehm zurückhielt.