© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Der Super-Sonntag
Landtagswahlen: Gleich drei Bundesländer rufen zu den Urnen / Bei allen Unterschieden gibt es thematisch eine große Gemeinsamkeit
(vo) / (cs)

Alles im grünen Bereich? 

Der erste Grüne an der Spitze eines Bundeslandes hat in den vergangenen fünf Jahren überzeugend die Rolle des Landesvaters gegeben. Unter dem „Ober-Realo“ Winfried Kretschmann und seiner grün-roten Koalition blieb Baden-Württemberg starker Industriestandort, Autoland und Wohlstandsregion. Die Koalition mit den Sozialdemokraten soll fortgesetzt werden. Dafür dürfte allerdings vermutlich eine Mehrheit fehlen, wenn die SPD nur knapp die Zehnprozentmarke überschreitet. Ihre Demontage als Volkspartei wäre komplett, wenn sie sogar von der AfD noch überholt wird, die in den Umfragen viertstärkste Kraft ist.  

Ein Kuriosum: Kretschmann wirbt gezielt um (linke) Unionsanhänger, indem er sich ostentativ solidarisch mit der Kanzlerin zeigt. Motto: Wer Merkels Asylpolitik stützt, muß in Baden-Württemberg grün wählen. 

?Eine Woche vor dem Urnengang liegt die CDU – bisher stärkste Fraktion im Landtag – in den Umfragen unter 30 Prozent. Spitzenkandidat Guido Wolfs Wahlziel: „Ich möchte erreichen, daß gegen die CDU keine Regierung gebildet werden kann.“ Erstaunlich, wenn man bedenkt, daß die Christdemokraten von 1953 bis 2011 fast durchgängig den Ministerpräsidenten stellten. Wolf hatte sich in einer Mitgliederbefragung des CDU-Landesverbandes 2014 gegen den liberaleren Thomas Strobl durchgesetzt. In der Asyldebatte ging er auf Distanz zu Merkel und forderte tagesaktuelle Flüchtlingskontingente nach österreichischem Vorbild. 

Ein landes- bzw. bildungspolitisches Aufreger-Thema ist der sogenannte „Aktionsplan Sexuelle Vielfalt“, gegen den Kritiker des Gender Mainstreamings bereits mehrfach demonstriert hatten. 





Frauen-Tausch?

Eine Wahl im Zeichen des „Frauen-Duells“: Zum ersten Mal kämpfen zwei weibliche Kandidaten um das Ministerpräsidentenamt. Seit einem Vierteljahrhundert ist das Land, in dem Helmut Kohl seine Karriere begann und das als christdemokratisches Stammland galt, nun schon fest in SPD-Hand. 2013 übergab Kurt Beck die Regierungsgeschäfte an seine Nachfolgerin Marie-Luise „Malu“ Dreyer, die einer rot-grünen Koalitionsregierung vorsteht. Deren Tage dürften gezählt sein, weil nach der jüngsten Umfrage den Grünen erhebliche Verluste drohen. Dreyers SPD und die CDU von Herausforderin Julia Klöckner liegen nahezu gleichauf. Für letztere sahen die Werte schon mal besser aus. Der Abwärtstrend der Bundes-CDU könnte ihr einen Strich durch die Wahlkampf-Rechnung machen; und das, obwohl Klöckner in der Asylpolitik mehr oder weniger deutlich auf Distanz zu Angela Merkel („Plan A2“) gegangen war. 

Für eine Sensation am Wahl-abend könnte das Abschneiden der AfD sorgen, die sich anschickt, den Grünen Platz drei hinter SPD und CDU streitig zu machen. Der Einzug der FDP, die 2011 aus dem Mainzer Landtag flog, ist möglich.

Landespolitische Themen – etwa die umstrittene Kommunalreform – sind angesichts der Asylkrise vollkommen in den Hintergrund getreten. So spielen schulpolitische Weichenstellungen kaum eine Rolle, genausowenig wie die Nachwirkungen von Affären der Ära Beck; etwa die um die Pleite des Flughafens Zweibrücken oder den Ausbau des Nürburgrings, dessentwegen 2014 der ehemalige Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. 




Blaues Wunder?

Im „Land der Frühaufsteher“ (Eigenwerbung) dürfte das Abschneiden der AfD zu dem bestimmenden Thema des Wahlabends werden. Wie viele der dann nur noch 87 Abgeordnetensitze im Magdeburger Landtag (Überhang- und Ausgleichsmandate nicht eingerechnet) werden die Neulinge einnehmen? 

?Wie in den anderen beiden Wahlkämpfen gerieten auch in Sachsen-Anhalt landespolitische Themen – Schulschließungen oder Einsparungen bei den Hochschulen – unter die Räder. Dabei regierte die Große Koalition das einst von Abwanderung und Arbeitslosigkeit arg gebeutelte Land relativ geräuschlos und konnte Erfolge bei der Konsolidierung des Landeshaushalts verbuchen. 

Auch wenn Reiner Haseloffs CDU wahrscheinlich die stärkste Partei bleiben wird, würde angesichts der in den Umfragen prognostizierten erheblichen Verluste für die SPD seine große Koalition keine Mehrheit im Landtag mehr haben. Doch auch für Rot-Rot-Grün dürfte es nicht reichen, zumal die Grünen um ihren Wiedereinzug zittern müssen; sie haben sich von 7,1 Prozent (2011) auf eine Prognose von lediglich sechs Prozent verschlechtert. Die FDP braucht Glück, um noch in den Landtag zurückzukehren. 2011 waren die Liberalen mit nur 3,8 Prozent rausgeflogen. Keines der klassischen Bündnisse wäre also den aktuellen Umfrageergebnissen zufolge mehrheitsfähig. Damit dürfte die Regierungsbildung nach dem Wahlsonntag extrem schwierig werden.  

In der Zuwanderungsdebatte hatte Ministerpräsident Haseloff deutliche Kritik an seiner Parteifreundin Merkel geübt und für sein Bundesland eine Obergrenze von 12.000 Flüchtlingen im Jahr genannt. 





Und sonst?

Um flächendeckend zur Landtagswahl in Baden-Württemberg antreten zu können, mußten Parteien, die derzeit nicht dem Stuttgarter Landtag oder dem Bundestag  angehören, in allen 70 Wahlkreisen 150 Unterstützungsunterschriften sammeln. Dies haben nur die rechtskonservativen Republikaner (Rep) und die AfD-Abspaltung Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa) geschafft. Mit dem Spruch „Das Original seit 1983“ gehen die Republikaner ins Rennen. Unter der Führung des langjährigen Bundesvorsitzenden Rolf Schlierer gelang der Partei 1992 und 1996 jeweils der Einzug in den Landtag. 

Seit dem Ausscheiden vor 15 Jahren haben sich die Republikaner zu einer Splitterpartei zurückentwickelt, die nur noch über wenige kommunale Abgeordnete verfügt. Spitzenkandidat ist der Volkswirt Ulrich Deuschle, der schon der letzten Landtagsfraktion angehört hatte. Mit Spannung erwartet wird das Abschneiden von Alfa, die mit dem Europaabgeordneten und ehemaligen AfD-Landeschef Bernd Kölmel ins Rennen geht. Die junge Partei hat im „Ländle“ rund 800 Mitglieder und damit ihren stärksten Verband. Im Wahlkampf versuchte sie sich von der AfD abzugrenzen, fand aber nur wenig Gehör. „Mindestens ein Prozent“, heißt hinter vorgehaltener Hand das Ziel. 

In immerhin 66 Wahlkreisen tritt die NPD an, gegen die noch das Verbotsverfahren läuft. Die Öko-Bürgerlichen von der ÖDP treten in 65 Kreisen an; die sich in Auflösung befindliche Piratenpartei schaffte es nur auf 31, sie wird damit keine Chance haben, die für die Parteienfinanzierung relevante Ein-Prozent-Hürde zu erreichen. In nur sieben Kreisen kandidieren die kommunal stark verankerten Freien Wähler, die aber in der Frage, ob man sich landespolitisch engagieren sollte,  gespalten sind. In sechs Wahlkreisen tritt die Rechtsaußen-Partei Die Rechte an, die als mögliches Auffangbecken nach einem NPD-Verbot gilt. Vor allem Rußlanddeutsche hat die Kleinstpartei „Arminius-Bund des deutschen Volkes“ nominiert, die lediglich in einem Wahlkreis kandidiert. 





Wer noch?

In Rheinland-Pfalz haben insgesamt 14 Parteien die Zulassung zur Landtagswahl geschafft. Besonderes Augenmerkt gilt den Freien Wählern, die mit vier Bezirkslisten antreten und vor fünf Jahren auf fast zwei Prozent der Stimmen kamen. 

Der Landesvorsitzende Stephan Wefelscheid machte vor einigen Tagen mit dem Versuch auf sich aufmerksam, sich in die sogenannte Elefantenrunde des Südwestrundfunks einzuklagen. Er sehe die Chancen seiner Liste nicht unbedingt schlechter als die der AfD, daher gehe es um Chancengleichheit.  

Ob neben den Freien Wählern noch weitere Kleinparteien Aussicht auf das Erreichen der Ein-Prozent-Hürde haben werden, erscheint zweifelhaft. Die Republikaner spielen im Land schon lange keine Rolle mehr, auch wenn Spitzenkandidat Alois Röbosch davon spricht, den „Wahltag zum Denkzettel“ zu machen. 

Gleiches gilt auch für die Piratenpartei, die vor fünf Jahren immerhin noch auf 1,6 Prozent kam. Die AfD-Abspaltung Alfa geht mit dem Hochschullehrer Uwe Zimmermann ins Rennen, blieb aber bisher in allen Umfragen unter der Wahrnehmungsgrenze. Dabei hatten sich im Zuge der Spaltung zahlreiche kommunale Abgeordnete von der AfD in Richtung Neugründung verabschiedet. „Das Flüchtlingsthema überlagert alles. Es fällt uns schwer, unsere Argumente unter die Bevölkerung zu bringen“, klagte Zimmermann.  

Etwas überraschend hat der marode Landesverband der NPD die erforderlichen Unterstützungsunterschriften erbracht. In den vergangenen Jahren gab es teilweise erbitterte interne Schlammschlachten, zudem tritt der ehemalige Landesvorsitzende Klaus Armstroff mit einer eigenen Liste (Der Dritte Weg) an. Die rechtsextreme Partei hat ihren Bundessitz im pfälzischen Bad Dürkheim und verfügt nach eigenen Angaben über 200 Mitglieder. Auf ihrem Programm steht unter anderem ein „deutscher Sozialismus zwischen Kommunismus und Kapitalismus“. 





Ist da jemand?

Im mitteldeutschen Bundesland standen die Chancen für Außenseiter immer gut. 1998 erzielte die rechte DVU aus dem Stand fast 13 Prozent, vier Jahre später verfehlte die Schill-Partei den Einzug in den Landtag nur knapp. Und 2011 sah es so aus, als könne die NPD in den Landtag einziehen, am Ende blieb sie mit 4,7 Prozent knapp unterhalb der Sperrklausel hängen. 

In diesem Jahr stehen nicht zuletzt wegen der AfD-Präsenz die Chancen für die Rechtsaußenpartei wesentlich schlechter. Spitzenkandidat Peter Walde ärgert sich vor allem darüber, daß seine Partei in den Umfragen nicht mehr gesondert gelistet werde. Zuletzt hatte die NPD im September 2015 bei drei Prozent gelegen. Vor fünf Jahren war der Anteil der „Sonstigen-Wähler“ erstaunlich hoch. Neben der NPD kamen die Freien Wähler (2,8), die Tierschutzpartei  (1,6) und die Piraten (1,2) in den Genuß der Wahlkampfkostenerstattung. Doch vor allem die Freien Wähler, die im Land durchaus bürgerlich-konservativ agieren, haben unter dem AfD-Aufschwung zu leiden. „Wir sind in den Kommunen gut verankert, haben 2.500 Mitglieder hinter uns. Wir sind nah am Bürger dran“, glaubt Landeschef Mario Rudolf. Seine Partei setzt auf Obergrenzen für Flüchtlinge und wehrt sich gegen eine Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Zudem sollten wieder mehr Schulen im ländlichen Raum eröffnet werden. Konkurrenz haben die Freien Wähler aber auch im eigenen Lager. 

Mit den Freien Bürgern Mitteldeutschlands tritt erstmals eine Partei an, die sich ebenfalls aus lokalen Wählergruppen zusammensetzt und die im Land etwa zwei Dutzend kommunale Mandatsträger stellt. Spitzenkandidat Andreas Koch fordert eine „sachorientierte Politik von unten nach oben“.  Für einen „konsequenten Ausländer-Stopp“ wirbt die rechtsextreme „Die Rechte“, die in Sachsen-Anhalt bewußt in Konkurrenz zur NPD antritt. Insgesamt 14 Parteien treten zur Wahl an. Ein bekannter Name hat es nicht auf den Zettel geschafft. Die Statt-Partei tritt nur in zwei Kreisen mit Direktkandidaten an.