© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

„Inhaftiert, geschlagen oder ermordet“
Christenverfolgung: Islamismus und kommunistische Regime sind längst nicht die einzigen Feinde
Lukas Noll

Mit Macheten und Gewehren bewaffnet erscheint der Mob aus rund 200 Menschen. Die Forderung, der man damit Nachdruck verleihen will, ist eindeutig: Ihrem Glauben abschwören sollen die Führer der „Iglesia Renovación en Cristo“ und aus der Gemeinde Las Margaritas verschwinden.

Was die unerwünschten Evangelikalen bereits unter Druck unterschrieben haben, soll jetzt auch durchgesetzt werden – auch wenn dafür eine Zufahrtsstraße blockiert werden muß. Widerstand haben die wütenden Zweihundert nicht zu fürchten: Bürgermeister José Domingo Vázquez López hat grünes Licht gegeben. 

Konservativer Widerstand gegen „Christianos“

Am Ende gelingt es zwar, die Bibeln aus dem erst vor fünf Jahren eingeweihten Gotteshaus zu retten. Doch das Altarpodest, einige Stühle und sogar Musikinstrumente sind zertrümmert. Zuflucht gewährt man den Familien in einer indigenen Justizbehörde: „Er wird uns helfen. Deshalb wollen wir unseren Glauben an den Herrn nicht verleugnen!“ gibt sich Gemeindevorsteher Caralampio Jiménez gegenüber der Zeitung Mirada Sur entschieden.

Bereits zuvor hatten katholische Dorfbewohner in Leyva Velázquez (Chiapas), Angaben der Nachrichtenagentur Idea zufolge, „unter den Augen mehrerer Dorfältester die Häuser von etwa 30 Protestanten zerstört“. Und anschließend die Zufahrtswege zum Dorf versperrt und die nun Obdachlosen gezwungen, in die Berge zu flüchten. 

Etwas mehr als einen Monat ist die von der Weltöffentlichkeit unbemerkte Hetzjagd nahe der mexikanischen Stadt Comitán in Chiapas erst her und damit zu frisch für den „Weltverfolgungsindex“: Wenn das christliche Hilfswerk „Open Doors“ zum Jahresbeginn seine Statistik zur Dokumentation von Christenverfolgung vorlegt, sind Überraschungen eher selten: In 35 von 50 Ländern liegt islamischer Fundamentalismus der Tyrannisierung von Christen zugrunde, dazu gesellen sich kommunistische Regime wie Nordkorea und China. 

Auch Papst Franziskus verortet die Christenverfolgung vor allem im Nahen Osten. Die internationale Gemeinschaft müsse angesichts des islamistischen Terrors dringend handeln, „um einer weiteren Vertreibung der Christen im Nahen Osten zuvorzukommen“, erklärte der Pontifex Mitte Februar auf seiner Lateinamerikareise  – und damit in einer christlichen Bastion.

Doch auch das von Franziskus besuchte Mexiko hält sich zusammen mit Kolumbien seit Jahren wacker im Index. Gerade die katholische Identität ist es, um deren Vormachtstellung man sich hier zunehmend Sorgen macht.

Doch nun schlägt auch Giuseppe Nardi vom konservativen Nachrichtenportal katholisches.info Alarm. Mexiko halte dem „massiven Expansionsdrang einer Myriade von protestantischen Gruppierungen evangelikaler und pfingstlerischer Prägung stand, die mit bewundernswertem missionarischen Eifer eine religiöse Variante des American Way of Life exportieren“, erklärt der Journalist. Dagegen hätten die Evangelikalen besonders in Brasilien und in anderen mittelamerikanischen Staaten bereits Fuß gefaßt. In Brasilien, das vor wenigen Jahrzehnten noch fast in seiner Gesamtheit ein katholisches Land gewesen sei, würden sich nur mehr 61 Prozent zur katholischen Kirche bekennen. In Honduras sollen es lediglich 46 Prozent sein, in Guatemala, El Salvador und Nicaragua etwa die Hälfte.

In armen Gesellschaftsschichten gelingt es evangelikalen Freikirchen immer besser, Fuß zu fassen: Wo bittere Armut und Kriminalität den Alltag prägen, bieten sich die charismatisch geprägten Gottesdienste als sinnstiftende Alternative an.

Demgegenüber liegt ihr Prozentsatz in Mexiko und Kolumbien noch unter zehn Prozent. Besonders in streng katholischen Indiostämmen fernab der größeren Städte stoßen die „Cristianos“ auf Ablehnung. Hier macht „Open Doors“ eine „starke Vermischung von Katholizismus und den traditionellen Überzeugungen der Indios“ aus, die Stammesregeln legten sich Konvertiten „wie eine Schlinge um den Hals“.

Im Gewaltradius des organisierten Verbrechens

Manche Katholiken lehnten andere Formen des christlichen Glaubens ab, verleumdeten diese als Initiativen, die das Ziel hätten, ihre traditionelle Kultur zu untergraben. „Christen wurden deshalb mit Bußgeldern belegt, inhaftiert, geschlagen oder ermordet“, heißt es in dem Bericht. 

Doch Repressalien haben nicht nur Konvertiten zu fürchten: Auch traditionalistische Katholiken stellen sich außerhalb des Gemeindelebens, katholische Priester und Sozialarbeiter geraten zudem immer wieder in den Gewaltradius des organisierten Verbrechens. Zudem würden christliche Institutionen von den Drogenkartellen oftmals als Einnahmequelle betrachtet, Erpressungen und Entführungen auf dem Weg zum Gottesdienst gehören zur Tagesordnung. „Programme zur Wiedereingliederung von Drogenabhängigen und Arbeit unter Jugendlichen werden als direkte Bedrohung des Drogenhandels und der Drogenkartelle angesehen“ – darin engagierte Christen seien daher besonders gefährdet und stünden unter umfassender Überwachung.

Auf ähnliche Weise gestaltet sich auch im südamerikanischen Kolumbien die Christenverfolgung: Obwohl das Land nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg weitgehend befriedet ist und sich Regierung und die marxistische Terrororganisation FARC seit drei Jahren in Friedensverhandlungen befinden, beherrschen linksextremistische Guerrilleros und rechte Paramilitärs weiterhin Teile des kolumbianischen Territoriums – trotz geringer Besiedelung laut „Open Doors“ fast die Hälfte des Staatsgebiets. Christen seien in diesem Umfeld „eine gefährdete Gruppe, da allein ihre Anwesenheit eine Bedrohung für die Vormachtstellung krimineller Organisationen darstellt. Dadurch steht die Kirche in direkter Konkurrenz zu kriminellen Organisationen.“

Wie sehr sich die regionale Vorherrschaft terroristischer Organisationen auf das tägliche Leben von Kolumbiens Christen auswirkt, zeigt schon ein Blick in die Bevölkerungsstatistik: Mit sechs Millionen Menschen ist jeder achte Kolumbianer ein Binnenflüchtling – nicht nur anteilsmäßig ein trauriger Weltrekord.

Daß beide Länder zumindest in moralischen Fragen näher an europäische Standards rücken, sieht die christliche Organisation übrigens nicht als Grund zum Aufatmen: „Säkulare Intoleranz“, die christliche Positionen und Glaubensbekundungen im Sinne der politischen Korrektheit aus dem öffentlichen Leben verbannen will, benennt „Open Doors“ in beiden Ländern als eine Triebkraft für Christenverfolgung.