© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Angst verwandelt sich in Wut
Furcht vor der Islamisierung Australiens: Bürgerrechtsbewegungen werden stärker / Angriffe gegen Muslime nehmen zu
Elena Hickman

Australier haben Angst – und zwar hauptsächlich vor Terroranschlägen. 2015 ging in den Umfragen des Lowy Institute als das Jahr ein, in dem Australier sich am wenigsten sicher fühlten; von acht möglichen Risiken wurden die ersten drei Plätze von Gefahren in Zusammenhang mit Terrorismus eingestuft. Einer von zehn Australiern fürchtet sich sehr vor Muslimen, fand eine Studie der University of South Australia heraus. Und: Frauen haben mehr Angst vor einem Terroranschlag als Männer.

Terroranschläge sind Australiens Bevölkerung leider nicht unbekannt. Im Oktober vergangenen Jahres erschoß ein im Iran geborener 15jähriger einen Polizeiangestellten in Sydney; 2014 schockierte eine Geiselnahme in einem Café in Sydney das Land, wobei zwei Geiseln und der Islamist Man Haron Monis getötet wurden. Im September des gleichen Jahres griff ein 18jähriger zwei Anti-Terror-Fahnder in Melbourne an. Vier Monate zuvor wurde ein 17jähriger festgenommen – er soll einen Anschlag mit drei selbstgebastelten Rohrbomben geplant haben.

Viele Muslime leben relativ isoliert

Die Anschläge versetzten viele Australier damals in einen Schockzustand – der sich jedoch inzwischen an vielen Orten in Wut verwandelt hat. Mehr als 12.000 Australier haben sich bereits islamkritischen Bürgergruppen angeschlossen und demonstrieren regelmäßig mit Zehntausenden gegen eine befürchtete Islamisierung des Landes. Australien hat rund 23,6 Millionen Einwohner, etwa 500.000 bekennen sich zum Islam. Das sind gerade einmal 2,1 Prozent der Allgemeinbevölkerung, allerdings wohnen viele Muslime relativ isoliert in geschlossenen Gemeinden. Wie beispielsweise in Sydneys Westen, in „Bankstown“ oder auch „Klein-Mekka“, wie das Viertel von Anwohnern genannt wird – in Australien leben nirgendwo mehr Muslime an einem Ort. 

Ein ähnlicher Vorort von Sydney ist Cronulla, der 2005 durch gewalttätige Krawalle traurige Berühmtheit erlangte. Es begann damals mit der Meldung, muslimische Jugendliche hätten zwei Rettungsschwimmer zusammengeschlagen und endete mit 5.000 gewaltbereiten Menschen, die durch das Viertel zogen, Menschen mit ausländischem Aussehen jagten und Autos und Geschäfte beschädigten.

Islamkritische Bürgerbewegungen betrachten solche Gebiete mit Sorge und demonstrieren deshalb regelmäßig gegen Salafisten, den Bau von Moscheen und gewaltbereite IS-Sympathisanten. Ihre Sorge begründen sie nicht nur mit Angriffen durch radikalisierte Islamisten auf australischem Boden, sondern auch mit den mehr als hundert Australiern, die sich bereits dem IS angeschlossen haben. Laut dem australischen Justizminister, Michael Keenan, habe der Außenminister jedoch weitere 120 Pässe gesperrt, um Australier von einer Ausreise zum IS abzuhalten. „Wir sind sehr effektiv darin, Australier davon abzuhalten, diesen Konflikt zu unterstützen“, sagte Keenan in einem Radiointerview mit ABCNews.

Ein weiterer Nährboden für radikal-islamisches Gedankengut sind australische Gefängnisse, weshalb die Regierung dort mit einem „De-Radikalisierungs-Programm“ aktiv ist. Das Programm zeitige, so der Justizminister, bereits „einigen Erfolg“. Allerdings betonte Keenan auch, es sei ein „Langzeitprojekt“. „Aber wir tun alles, damit Menschen erstens nicht weiter radikalisiert werden, wenn sie in unseren Gefängnissen sind“, gab sich Keenan optimistisch, „und wir versuchen weiterhin, radikalisierte Gefängnisinsassen wieder, man könnte sagen, von dort zurückzubringen.“

Doch nicht alle geben sich damit zufrieden, friedlich gegen Muslime in ihrem Land zu demonstrieren. In den vergangenen Monaten hat der Haß gegen moslemische Männer und Frauen deutlich zugenommen. Verstörend sind dabei vor allem die abgetrennten Schweineköpfe, die vor Moscheen abgelegt werden, oder die Demolierung von islamischen Schulen. Und fast noch schlimmer – die Angriffe auf offener Straße, besonders auf junge moslemische Frauen: „Wir sind offensichtlich die ersten Ziele“, sagt die Präsidentin der Jugendvereinigung Muslim Youth WA, Shameema Kolia, in einem Interview von The World Today, „was schon interessant ist, denn generell sind es große, kräftige Männer, die moslemische Frauen anschreien.“ Besonders nach Ereignissen wie den Anschlägen von Paris würden solche Vorfälle zunehmen. „Dann müssen wir uns dem Mißbrauch hier auf der Straße stellen“, sagt Kolia.

Australier haben Angst, aber nicht nur vor radikalen Muslimen. Auch Muslime fürchten sich zunehmend vor Vergeltungsschlägen und rassistischen Übergriffen.